Bertha Pappenheim • Bedeutende jüdische Frauenrechtlerin
Bertha Pappenheim wurde am 27. Februar 1859 in Wien geboren und verstarb am 28. Mai 1936 in Neu-Isenburg. Sie war eine Frauenrechtlerin, Schriftstellerin, jüdische Sozialpionierin und Gründerin des Jüdischen Frauenbundes. Bertha Pappenheim wird am 27. Februar 1859 in Wien geboren. Ihr Vater Sigmund Pappenheim ist ein jüdisch-orthodoxer Getreidehändler, die Mutter Recha stammt aus der alteingesessenen Frankfurter Familie Goldschmidt. Bertha ist die dritte Tochter. Als ein Jahr später Bruder Wilhelm geboren wird, spürt Bertha zum ersten Mal die Kluft zwischen den Geschlechtern. „Trotzdem den alten Juden die Erfahrung der Unentbehrlichkeit der Frau nicht entgangen sein konnte, wird das weibliche Kind bei ihnen als Geschöpf zweiter Güte betrachtet“, notiert sie später. Bertha muss ihre Schulausbildung, sie besucht in Ermangelung einer jüdischen Mädchenschule in Wien eine private katholische Schule, mit 16 beenden und das Dasein einer ‚Höheren Tochter’ führen. Als Bertha 21 Jahre alt ist, erkrankt ihr Vater schwer und die Tochter pflegt ihn (die beiden Schwestern sind gestorben). Im selben Jahr machen sich die „hysterischen“ Symptome bei Bertha Pappenheim bemerkbar. Ihre Schwächeanfälle werden zunächst nicht beachtet, bis es zu Lähmungen, Sehstörungen und Angstzuständen kommt. Sie selbst bezeichnete die Flucht vor dem monotonen Frauenalltag in einen anderen Bewusstseinszustand als „Privattheater“. Ihr Arzt Dr. Josef Breuer führte die Symptome, die bei vielen ‚Höheren Töchtern’ dieser Zeit auftraten, darauf zurück, dass die Familie die überdurchschnittlich begabte Tochter unterfordert und ihre Wünsche und Talente völlig brach liegen lässt. Breuers Behandlung bestand in langen Gesprächen, zum Teil unter Hypnose, in denen die Patientin dank ihrer Intelligenz selbst das Prinzip der‚ Talking Cure’ · der Heilenden Rede entwickelte. Bertha Pappenheim war eine starke Persönlichkeit. Dr. Breuer beschreibt sie als eine Frau „von bedeutender Intelligenz, erstaunlich scharfsinniger Kombination und scharfsichtiger Intuition […]„.1895 hatten Breuer und Sigmund Freud gemeinsam ihr Werk ‚Studien zur Hysterie’ veröffentlichen, in dem Bertha Pappenheim als ‚Anna O.’ zum berühmten Fall wird. Übrigens ein Geheimnis, das erst ein Freud-Biograf 1953 lüftete. Bertha Pappenheim selbst hat über ihre seelische Erkrankung und deren Behandlung nie öffentlich gesprochen.
Mit 29 Jahren, im November 1888, siedelte sie zusammen mit ihrer Mutter nach Frankfurt am Main über. Das familiäre Umfeld in Frankfurt war teils orthodox, teils liberal orientiert. Anders als in Wien war man nicht nur im Bereich der Wohltätigkeit, sondern auch in Kunst und Wissenschaft engagiert. Die Familien Goldschmidt und Oppenheim waren als Kunstmäzene und -sammler bekannt und unterstützten wissenschaftliche und akademische Projekte, insbesondere bei der Begründung der Frankfurter Universität. In diesem Umfeld begann Bertha Pappenheim sowohl mit intensiveren schriftstellerischen Arbeiten (erste Veröffentlichungen ab 1888, zunächst anonym, dann unter dem Pseudonym „P. Berthold“) als auch damit, sich sozial und politisch zu engagieren. Zunächst arbeitete sie in einer Armenküche und als Vorleserin im Mädchenwaisenhaus des Israelitischen Frauenvereins. 1895 übernahm sie kommissarisch die Leitung des Waisenhauses, ein Jahr später wurde ihr die Leitung fest übertragen. In den folgenden 12 Jahren gelang es ihr, die Erziehungsarbeit vom ausschließlichen Ziel einer späteren Verheiratung auf die Ausbildung zur beruflichen Eigenständigkeit auszurichten. Durch ihre Arbeit in der Armenküche erkannte sie wo die Not unter den Pogrom-Flüchtlingen aus Russland und Osteuropa am größten ist. Bei ihrer Arbeit wird Bertha Pappenheim auch mit den Folgen des Mädchen- und Frauenhandels konfrontiert, dessen bevorzugte Opfer die diskriminierten und bedrohten Jüdinnen in Galizien, Russland und dem Balkan sind. Die Arbeit gegen den Mädchenhandel und die Prostitution – deren „Freiwilligkeit“ Pappenheim immer bestritt – wird zum Schwerpunkt ihrer Arbeit. Sie bezeichnet dieses Verbrechen als ‚Weiße Sklaverei’, ein Begriff, der sich heute wieder durchsetzt. Mehrfach reist Pappenheim in die betroffenen Gebiete, um sich dort über den Mädchenhandel und Möglichkeiten seiner Bekämpfung zu informieren, und veröffentlicht ihre Ergebnisse in mehreren Büchern. Dabei verhehlt sie nie die große Rolle, die jüdische Mädchenhändler bei dem Verbrechen spielen. Die Kritik aus jüdischen Kreisen, diese Informationen könne für antisemitische Propaganda benutzt werden, lässt Pappenheim nicht gelten. Sie publiziert aber nicht nur, sondern leistet praktische Unterstützung vor Ort: So organisiert sie Aktionen an den Bahnhöfen, wo sie die ankommenden, gutgläubigen jungen Frauen vor den drohenden Gefahren warnt. „Wenn wir den Lebenslauf dieser Frauen kennen, ihre Jugend, ihre Psyche, dann werden wir verstehen, was sie so weit brachte, Prostituierte zu werden. Dann werden wir in vielen Fällen zugeben müssen, dass von einer Freiwilligkeit im Sinne eines freien Entschlusses nicht die Rede sein kann.“ Schrieb Bertha Pappenheim, daraufhin gründete sie im Jahr 1901 den Verein ‚Weibliche Fürsorge’, der aus Osteuropa geflüchtete Mädchen unterstützt. Ein Jahr später findet in Frankfurt die erste Konferenz zur Bekämpfung des Mädchenhandels statt.
1904 gründet Bertha Pappenheim den ‚Jüdischen Frauenbund’ (JFB). Obwohl Pappenheim dem gemäßigten Flügel der Historischen Frauenbewegung zuzurechnen ist und sie Sozialarbeit und Wohlfahrt als natürliche Bestimmung der Frau betrachtet, streitet sie für die Modernisierung der Rollenverteilung von Frauen und Männern im jüdischen Gemeindeleben. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs betätigt sich Bertha Pappenheim, wie große Teile der „Gemäßigten“ weiter in der Wohlfahrt, ohne sich, wie die meisten führenden „Radikalen“ als Pazifistin und Kriegsgegnerin zu positionieren. Ihr Schwerpunkt bleibt der Kampf gegen den Mädchenhandel und für seine Opfer. Mitte der Zwanziger Jahre veröffentlicht sie ihr wichtigstes Werk zum Thema: ‚Sisyphus – gegen den Mädchenhandel’. Fast 20 Jahre lang, bis zu ihrem Tod, leitet Pappenheim das Mädchenheim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg bei Frankfurt. Sie kritisierte das Frauenbild in der jüdischen Religion und forderte als Angehörige der deutschen Frauenbewegung, die Ideale der Gleichberechtigung auch innerhalb der jüdischen Institutionen zu verwirklichen. Dabei ging es ihr besonders um Bildung und Gleichstellung im Berufsleben. Eine Äußerung auf dem ersten Delegiertentag des JFB „Vor dem jüdischen Gesetz ist die Frau kein Individuum, keine Persönlichkeit, nur als Geschlechtswesen wird sie beurteilt und anerkannt.“ führte zu einer landesweit heftigen Reaktion seitens orthodoxer Rabbiner und jüdischer Presse. Man bestritt die Existenz der von Pappenheim beklagten Zustände wie Mädchenhandel; Vernachlässigung unehelich geborener jüdischer Waisenkinder und warf ihr „Schmähung des Judentums“ vor. Das politisch liberale emanzipierte Judentum hatte eine patriarchalisch-traditionalistischen Haltung in der Frauenfrage. Unterdessen wuchs der JFB stetig und zählte 1907 32.000 Mitglieder in 82 Vereinen. Der JFB war zeitweise mit über 50.000 Mitgliedern die größte karitative jüdische Organisation. 1917 forderte Bertha Pappenheim der „Zersplitterung innerhalb der jüdischen Wohlfahrtspflege ein Ende zu machen“, was mit zur Gründung der noch heute bestehenden Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland führte. In deren Vorstandsarbeit wurde sie von Sidonie Werner unterstützt.
Bertha Pappenheim war die Gründerin oder Initiatorin vieler Institutionen, wozu Kindergärten, Erziehungsheime und Bildungsstätten gehörten. In ihren Augen war ihr Haupt- und Lebenswerk das Mädchenwohnheim Neu-Isenburg. In der Reichspogromnacht werden zwei der vier Heim-Gebäude niedergebrannt. Im Jahr 1942 lösen die Nationalsozialisten das Heim auf. Die vier Sozialarbeiterinnen und 15 Bewohnerinnen werden nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Nach dem die Nationalsozialisten die Macht übernahmen hofft Pappenheim zunächst noch auf eine baldige Beendigung der Nazi-Herrschaft. Als sie begreifen muss, dass diese nicht eintritt, bringt die 75-Jährige selbst einige ihrer Schützlinge nach England und Schottland in Sicherheit. Bald darauf erkrankt Bertha Pappenheim schwer. Dennoch wird sie, obwohl schon bettlägerig, 1936 von der Gestapo vorgeladen. Angeblich hat sich eine Heimbewohnerin regimekritisch geäußert. Pappenheim kann den Verdacht zerstreuen, erholt sich aber nicht wieder von dem Verhör. Sie stirbt am 28. Mai 1936 in Neu-Isenburg.
Der Name Bertha Pappenheim blieb zumindest innerhalb der Tradition der jüdischen Frauenbewegung erhalten. In welchem Maße sie eine offensive Frauenrechtlerin und Kämpferin gegen Frauenhandel und Prostitution war, geriet erst in jüngerer Zeit wieder ins Bewusstsein, als Anfang der 1990er Schriften von ihr neu veröffentlicht wurden, denn ihr schriftstellerisches Werk ist beachtlich.
Ein Gedicht von Bertha Pappenheim aus der Zeit von 1910–1912:
Mir ward die Liebe nicht –
Drum leb’ ich wie die Pflanze,
Im Keller ohne Licht.
Mir ward die Liebe nicht –
Drum tön’ ich wie die Geige,
Der man den Bogen bricht.
Mir ward die Liebe nicht –
Drum wühl’ ich mich in Arbeit
Und leb’ mich wund an Pflicht.
Mir ward die Liebe nicht –
Drum denk’ ich gern des Todes,
Als freundliches Gesicht.
Bild 1: B. Pappenheim alias Anna O. – Quelle: loc.gov · Bild 2: Warnung an junge Frauen – Quelle: frauenmediaturm.de · Bild 3: Gründerinnen – Quelle: wikipedia.com · Bild 4: Bertha Pappenheim m. 75 Jahren – Quelle: ffmhist.de · Briefmarke ‚Bertha Pappenheim‘ – Quelle: Briefmarkenbilder.de
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