Das haben wir doch alles nicht gewusst …

Das haben wir doch alles nicht gewusst …

 

Nach dem Krieg in Deutschland, und hier ist es völlig egal ob wir Deutschland in Ost oder West aufteilen wollen, allen war gemeinsam, dass sie von den Schrecken der NS-Zeit, der sie vorher noch zujubelten, nichts wussten. Nun stand den Menschen natürlich keine solche Informationsmaschinerie wie heute zur Verfügung, doch konnten sie wissen wenn sie wollten und viele, ganz viele wussten um die Gräueltaten, wenn sie nicht sogar daran beteiligt waren. Ich spreche hier nicht von den Männern der NS-Elite, die sich in Nürnberg zu verantworten hatten, sie waren Angeklagte und ihre Bekenntnisse wie  ‚nicht schuldig’ darf jeder Angeklagte für sich in Anspruch nehmen, denn die Gerichte haben das Gegenteil zu beweisen. Nein, hier ist die Rede von all den ‚Normalbürgern’, denen gar kein kriminelles oder menschenfeindliches Vergehen vorgeworfen wurde, die angeblich nichts wussten um die Drangsal anderer.

Nachbarn, die sahen wie jüdische Bürger abgeholt wurden; sie wussten Bescheid. Mitarbeiter an Bahnhöfen, Schrankenwärter; sie wussten Bescheid. Polizisten, Beamte und Angestellte; jeder wusste, beziehungsweise konnte Bescheid wissen. Heerscharen von Bediensteten in Ministerien, Institutionen oder der Wehrmacht, vom Leiter bis zum Hausmeister, von der Chefsekretärin bis zur Putzfrau, jeder wusste Bescheid. Mitschüler, die ihre Freunde und Kameraden verloren; Lehrer, deren Schüler wegblieben; auch sie wussten Bescheid. All diese Menschen kommunizierten miteinander, auch wenn nicht alle über die Ausmaße des Grauens jener Zeit Bescheid wussten, Details wusste jeder. Die Konzentrationslager lagen unweit von Städten, und die Bürger wussten um diese Lager. Tötungsanstalten der Euthanasie lagen nicht im luftleeren Raum, die Bürger der umliegenden Dörfer hatten Ahnungen von den Geschehnissen. Die Kirchen, gleich welcher Konfession, sie wussten mehr als ihnen lieb war.

Es ist nicht davon auszugehen, dass ein allumfassendes Wissen über die menschenverachtenden Verhältnisse im und außerhalb des NS-Staates vorhanden war, doch von Anhaltspunkten wusste jeder. Und selbst dieses Puzzleteil des Wissens, den jeder hatte, zuzüglich all der Gerüchte und Ahnungen, die umherwaberten, ließ nur wenige erschauern, die meisten, so scheint es, ließ es kalt. Ja, und nach dem Krieg befiel das deutsche Volk, alle zur gleichen Zeit, eine geistige Amnesie, ein Blackout, ein tiefes Schweigen und Verschweigen. Tja, und weil keiner etwas ‚wusste’, musste auch keiner  Verantwortung übernehmen.

Natürlich darf man die Alltagssorgen der Menschen damals nicht übersehen, denn jeder war mit dem Überleben von sich selbst und den Seinen äußerst stark beschäftigt; ohne Zweifel, doch hätte man doch, so nach und nach zu einer gewissen Offenheit kommen können. Doch nein, es wurde verdrängt, weg geschoben und beharrlich geschwiegen.

Ja, und heute? Haben wir aus dieser bestialischen Zeit gelernt? Haben wir heute mehr Mut, die Dinge beim Namen zu nennen? Legen wir heute den Finger auf die Wunden der Gesellschaft? Hören wir kritischer hin? Gehen wir sensibler mit anderen um? Schützen wir Minderheiten, ganz gleich woher sie kommen, wie sie aussehen oder was sie denken?

Tatsache ist, dass Roma und Sinti noch immer kein Bestandteil in den europäischen Völkern sind. Antisemitismus ist weder in Deutschland, noch in unseren Nachbarländern ausgemerzt. Homophobie ist noch immer ein Thema. Ja, und Rassismus und deren brutale Ausmaße des Mordens sind Tagesthema in den Gazetten Deutschlands. Und wie gehen wir damit um? In Hinsicht auf die Morde an ausländischen Mitbürgern haben die Behörden versagt; doch was ist mit uns, welch klimatische Gesellschaft bieten wir potentiellen Mördern, dass sich ihr menschenfeindliches Gedankengut verfestigen konnte und in vielen Köpfen noch kann? Denn wir sollten uns bewusst machen, dass wir, die Gesellschaft ein Nährboden für Menschen mit faschistoidem Gedankengut sind. Wir dürfen nicht verdrängen, dass jeder einzelne lebendigen Anteil an der Gesamtgesellschaft hat, um es platt auszudrücken: Jeder ist ein 80millionstel. Ja, und in dieser Eigenschaft tragen wir jeder eine Verantwortung und diese ist nicht zu leugnen.

Nicht jeder von uns eignet sich auf die Barrikaden einer Demonstration zu gehen, nicht jedem ist es eigen eine Petition zu verfassen und viele möchten sich keinen Parteien oder anderen Organisationen anschließen. Aber das ist auch nicht nötig, um seinen gesellschaftlichen Anteil so zu leben, dass sichtbar wird, dass Verantwortung übernommen wird. Wenn wir nur in unserem kleinen Umfeld die Werte leben, die wir hochhalten wollen, dann ist schon ein großer Schritt getan. Wenn wir Äußerungen und mögen sie noch so lapidar daher kommen, die auch nur den Versuch machen, andere auszugrenzen, entgegentreten und das entschieden, dann leben wir unseren gesellschaftlichen Anspruch. Wenn wir nicht nur an das ‚tägliche Brot’ für uns selbst denken, sondern auch andere bedenken, ganz gleich wie dahingehend unsere Möglichkeiten sind. Denn gestaltet ein jeder seine kleine Umgebung frei von Ressentiments, so kann sich das wie Wellen durch das Land ziehen, stetig und immerwährend.

Denn eins ist sicher, wenn wir wenig Bereitschaft zeigen, aus der Vergangenheit zu lernen, so müssen wir diese Lernprozesse wiederholen, in all ihren Konsequenzen. Ich glaube, das möchte keiner, darum müssen wir uns aufmachen unserem gesellschaftlichen Anteil Leben einzuhauchen, denn eins wäre dabei gewiss, wir würden erkennen, dass wir mit solchem Anliegen nicht allein da stehen. Denn noch einmal können wir nicht damit durchkommen, ‚von nichts gewusst zu haben’.

„Die Freiheit besteht in erster Linie nicht aus Privilegien, sondern aus Pflichten.“ Albert Camus 

Bild 1: Besuch Adolf Hitler in Eger – Quelle: wikimedia.org · Bild 2: Gesellschaftliches Miteinander – Quelle: alleinklang.tv

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