George Grosz • Künstlerische Zerrissenheit mit Realitätssinn
„Es wird für Kabarettisten immer schwieriger, die Realität zu übertreffen.“ Konrad Paul Liessmann
George Grosz einzuordnen fällt besonders schwer, weil er so voller Talent steckte, dass es ihn scheinbar oft selbst behinderte, sich einem großen Thema zu widmen. Als Georg Ehrenfried Groß am 26. Juli 1893 in Berlin geboren lebe der Maler, Grafiker und Karikaturist jede Phase seines Lebens voller Herzblut und Intensität.
Als es in seinem Heimatland gleich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg sehr ‚deutschtümmelte’ und Anglizismen äußerst verpönt waren, änderte er seinen Namen in George Grosz, eine der ersten Auflehnungen, der noch viele folgen sollten. Mit George Grosz werden vor allem seine der Neuen Sachlichkeit zugerechneten, sozial- beziehungsweise gesellschaftskritischen Gemälde und Zeichnungen in Verbindung gebracht, die überwiegend in den 1920er-Jahren entstanden und die sich durch zum Teil äußerst drastische und provokative Darstellungen und häufig durch politische Aussagen auszeichnen. Typische Sujets sind die Großstadt, ihre Abseitigkeiten (Mord, Perversion, Gewalt) sowie die Klassengegensätze, die sich in ihr zeigen. Im Vergleich zu ähnlichen Bildern von Otto Dix aus dieser Zeit ist Grosz meist der aggressivere und politischere. In seinen Werken, oft Karikaturen, verspottet er die herrschenden Kreise der Weimarer Republik, greift soziale Gegensätze auf und kritisiert insbesondere Wirtschaft, Politik, Militär und Klerus. Nach der Schule, die für ihn eine schwere Zeit war, denn der wenig angepasste Junge fiel häufig in der ‚geordneten’ Welt des damaligen Kaiserreichs auf.
Er besuchte er von 1909 bis 1911 die Kunstakademie in Dresden, und von 1912 bis 1916 lernte er an der Kunstgewerbeschule in Berlin, wo er von Emil Orlik unterrichtet wurde. Ab 1913 arbeitete er auch im Atelier Colarossi in Paris. 1914 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger zum Ersten Weltkrieg. Nach einem Jahr wurde er nach einer Erkrankung kriegsunfähig. 1916 gründete er zusammen mit Wieland Herzfelde und Franz Jung die erste Dada-Zeitschrift mit dem Titel ‚Neue Jugend’. 1917 erschien die so genannte ‚Kleine Grosz-Mappe’, die als frühes Beispiel des Dadaismus in Berlin gilt. 1918 nahm er zusammen mit Raoul Hausmann und Richard Huelsenbeck am ersten dadaistischen Vortragsabend in der Berliner Sezession teil. Zwischen 1919 und 1920 gründete er weitere Kunstzeitschriften wie ‚Die Pleite’ oder ‚Der blutige Ernst’. Aufgrund seiner satirischen Karikaturen folgten die ersten Prozesse gegen Grosz. 1920 beteiligte er sich an der ersten internationalen Dada-Messe in Berlin. 1922 reiste er für sechs Monate in die UdSSR, er wurde Mitglied der KPD und politisierte sich selbst immer mehr. Dies war nicht nur seiner Entwicklung geschuldet, sondern auch der Zeit. Nach einem weiteren längeren Aufenthalt in Russland, bei dem er auch Lenin und Trotzki persönlich kennen lernte, trat er aus der Partei aus, da er jeden Absolutheitsgedanken einer Richtung ablehnte und die Verelendung der Menschen in Russland anprangerte. Dem sozialistischen Gedanken blieb er aber sein Leben lang treu. Bis 1930 veröffentlichte er verschiedene grafische Folgen wie „Gott mit uns“, „Das Gesicht der herrschenden Klasse“ oder „Abrechnung folgt!“. Ab 1922 folgten zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen, wie bei Alfred Flechtheim 1929 in Berlin, 1922 in Hannover, 1924 in Paris, 1929 in Berlin, 1930 in Venedig, 1930 in New York und 1932 in Brüssel. Aufgrund der Inhalte wurde er mehrfach wegen Verbreitung von Pornografie und Gotteslästerung verurteilt. Die Begründung zu dem Urteilsspruch gegen George Grosz, angeklagt wegen Gotteslästerung im Jahre 1928 nach Christi Geburt.
Landgerichtsdirektor Tölke als Vorsitzender, Landgerichtsrat Krüger als zweiter Richter… Aus den Gründen: Bild Nr. 10: Ein am Kreuz hängender, äußerst abgemagerter Christus ist in der allgemein gebräuchlichen Darstellung abgebildet, jedoch mit folgenden Besonderheiten: Das Gesicht ist durch eine Gasmaske verdeckt. An den Füßen befinden sich Soldatenstiefel, durch die die Kreuzesnägel getrieben sind. Die linke Hand ist nicht ans Kreuz genagelt, sondern hält am erhobenen Unterarm ein Kreuz. Unterschrift: Maul halten und weiterdienen. Wenn nach alledem wegen der Bilder 2 und 9 eine Schuldfeststellung nicht getroffen werden konnte, so entbehren diese Zeichnungen doch nicht der Bedeutung für die Frage, wie weit in dem dritten der beanstandeten Bilder, nämlich der Christusdarstellung am Kreuz mit Gasmaske und Soldatenstiefeln, der Tatbestand des § 166 StGB. erfüllt ist. Die Anklage erblickt in dieser Abbildung einen Angriff auf eine Einrichtung der christlichen Kirche, nämlich die Christusverehrung. Daß diese als Einrichtung im Sinne des § 166 StGB. zu werten ist, unterliegt keinem Bedenken (vgl. Olshausen a. a. O. § 166 Anm. 12 RGE. 2, 429). Das Gericht erachtet aber auch als erwiesen, daß hier das Tatbestandsmerkmal einer Beschimpfung durch den Angeklagten Grosz vollendet ist. Das ergibt gerade der Zusammenhang mit den beiden Bildern 2 und 9 und die gesamte Tendenz der als ›Hintergrund‹ betitelten Blätter. Denn richtete sich in den beiden vorgenannten Zeichnungen die Satire des Künstlers gegen einzelne Diener der christlichen Kirche und gegen den Gottesbegriff des ›heiligen Geistes‹, so ist hier in Bild 10 unverkennbar Christus selbst als Träger und Symbol jenes christlichen Glaubens, der bereits in den Zeichnungen 2 und 9 ironisiert wurde, das Angriffsobjekt. Bei der Auslegung des in diesem Bilde und seiner Unterschrift verkörperten Gedankens hat das Gericht nach freier Überzeugung zu entscheiden. Es ist dabei als allgemein gültige Auslegungsregel auch der Grundsatz zu erachten, daß, soweit der Wortlaut einer Gedankenäußerung nicht durchaus eindeutig ist, der Sinn der Äußerung aus den Nebenumständen, insbesondere aus dem Zusammenhang, aus dem Zwecke und dergleichen zu erforschen ist (vgl. dazu die allgemeinen Ausführungen des Urteils des RG. vom 11. 1. 26, abgedr. in der ›Jur. Wochenschrift‹ 1928, S. 1225 ff.). Bei Anwendung dieses Grundsatzes sieht sich das Gericht nicht in der Lage, der Auslegung zu folgen, die der Angeklagte Grosz seiner Darstellung gegeben hat. Nach der ganzen Anlage der Zeichnung müssen die Worte der Unterschrift ›Maul halten und weiterdienen‹ nicht als an Christus gerichtet, sondern als von ihm gesprochen aufgefaßt werden. Die starke Wirkung des Bildes beruht zum großen Teil darauf, daß die Christusfigur allein abgebildet ist, ohne jedes Beiwerk von Personen und sonstigen Requisiten, mit denen der Angeklagte auf den beiden andern Bildern verhältnismäßig verschwenderisch umgeht. Neben der Gasmaske und den Soldatenstiefeln lenkt das erhobene Kreuz in der linken Hand des gekreuzigten Christus die Blicke auf sich, jenes Kreuz als Symbol des Glaubens, das in Bild 2 auf der Nase des Priesters balanciert und im Bild 9 ms Wanken geraten ist. Wären auf dem Bilde noch andre Personen gezeichnet oder wären die Gasmaske und die Soldatenstiefel die einzigen Besonderheiten, so würde die Behauptung des Angeklagten, er habe die ans Kreuz geschlagene Menschheit darstellen wollen, an die jene die Unterschrift bildenden Worte gerichtet wurden, noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Aber gerade die besonders ins Auge fallende Abweichung von der sonstigen Darstellung des gekreuzigten Christus, nämlich das stark und sichtbar gezeichnete Kreuz in der linken Hand, gibt dem Bild die Wirkung, die es nach der Ansicht des Gerichts auf den Beschauer haben muß: Christus, für seine Lehre ans Kreuz geschlagen, hat für die Menschheit im Kriege, mit dessen Symbolen Gasmaske und Kommißstiefel man ihn bekleidet hat, trotz seines eignen Opfers auch nur den Trost und die Worte ›Maul halten und weiterdienen‹. Das Kreuz in seiner Hand gibt der ganzen Darstellung erst das typische; es wirkt in Verbindung mit den Worten der Unterschrift wie ein Ausrufungszeichen, Christus ruft diese Worte im Zeichen des Kreuzes der Menschheit zu. Es erscheint auch unverständlich, welchen Sinn diese Worte, wenn sie an den sterbenden Christus gerichtet würden, haben sollten. Gewiß verkörpert Christus, wie dem Angeklagten geglaubt werden mag, die ans Kreuz geschlagene Unschuld, die allerdings bei Grosz nicht viel Abweichendes von den Begriffen der Beschränktheit oder der Dummheit hat. Die Worte »Maul halten und weiterdienen« werden selbstverständlich nicht von dem am Kreuze hängenden Christus gesprochen – wenn überhaupt diese oberlehrerhafte Feststellung von irgendwelchem Werte ist. Denn die Unterschriftsworte brauchen mit Notwendigkeit von gar niemandem gesprochen zu sein – der Zeichner gibt mit diesem Satz die Melodie des Blattes an, ohne daß ein Sprecher vorhanden sein muß. Ist also schon die Suche nach dem Sprechenden jeder gescheiten Kunstdeutung zuwiderlaufend, so ist, nimmt man überhaupt einen Sprechenden an, Christus sicherlich nicht derjenige, der spricht. Dem steht entgegen, daß er eine Gasmaske trägt, so daß also die Worte »Maul halten und weiterdienen« nur als dumpfes Gemurmel, nicht aber als artikulierte Wörter an das Ohr der Außenwelt zu dringen vermöchten, eine Überlegung, die vom seligen Nicolai stammen könnte, den überrationalistischen juristischen Kunstbetrachtern aber wohl recht sein wird. Es ist aber auch dem Sinn des Bildes widersprechend, wenn angenommen wird, Christus spräche. Die gebeugte, gefesselte, mit einer Gasmaske geknebelte Gestalt ist wohl zu allerletzt berufen, einen Befehl zu erteilen – ihre ganze Haltung drückt genau das Gegenteil aus. Wenn das Gericht hinzufügt: »Es erscheint unverständlich, welchen Sinn diese Worte, wenn sie an den sterbenden Christus gerichtet würden, haben sollten«, so begeht es einen doppelten Denkfehler. Es wird damit zunächst unterstellt, als müßten die Worte entweder von Christus gesprochen oder an ihn gerichtet sein, was falsch ist. Die Worte werden von niemand gesprochen und sind leiblich an niemand gerichtet – kein Mund und keine Ohren sind zu konstruieren. Es ist aber auch falsch, daß die Worte, an Christus gerichtet, keinen Sinn ergäben. Der Sinn, den sie haben, ergibt sich aus der Tendenz der Bildermappe… Trotz dieser kritischen Ausführung des Gerichts, wird George Grosz freigesprochen.
‚Maul halten und weiter dienen’ war das Bühnenbild (Hintergrundprojektion) für die Inszenierung des Stückes Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk durch Erwin Piscator und Bertolt Brecht 1927 in Berlin. Im Jahr 1924 wurde Grosz Mitglied der ‚Roten Gruppe Berlin’ und beteiligte sich 1925 an der Ausstellung ‚Neue Sachlichkeit’ in Mannheim sowie 1929 an der Jubiläums-Ausstellung der ‚Novembergruppe’. Auch machte er während dieser Zeit Bekanntschaft mit dem Profiboxer Max Schmeling, der ein begehrtes Modell für den Maler wurde.
Seine Karikaturen waren gefürchtet und geschätzt. Auch seine äußerst morbide Neigung, Gewalt darzustellen, die ihn von frühester Jugend begleitete, fand großen Anklang im Kulturbetrieb wie auch beim Betrachter. Von Juni bis Oktober 1932 erhielt Grosz einen Lehrauftrag für die New Yorker Art Students League, an der er erfolgreich eine Aktklasse unterrichtete. Er kehrte nach Deutschland zurück, war aber fest entschlossen, für einige Jahre in die USA zu gehen, zumal sein Lehrauftrag verlängert worden war. Am 12. Januar 1933 emigrierte er in die USA. Seine in Deutschland verbliebenen Werke fielen den Nationalsozialisten in die Hände, die sie billig ins Ausland verramschten oder als ‚Entartete Kunst’ verbrannten. In Amerika war er weit weniger bekannt als in Deutschland. Seine Werke waren dort fast unverkäuflich, er veröffentlichte Blätter in der einzigen satirischen Zeitschrift ‚Americana’. Grosz schuf in den USA nur noch wenige anerkannte Werke, eine Kunstszene wie in Europa hatte sich noch nicht etabliert und so traf er auf wenig Gleichgesinnte. Abgesehen von einigen apokalyptischen Bildern aus den 1940er-Jahren, wie beispielsweise ‚Cain, or Hitler in Hell’. 1944 wurde sein Spätwerk zunehmend dekorativer und unpolitischer. Desillusioniert war er vor allem davon, dass sich 1933 die proletarischen Massen nicht gegen Hitler gewehrt hatten, lebte er zurückgezogen mit Frau und Kindern und hielt sich und die Seinen mit spärlichen Mitteln über Wasser. Seit Juni 1938 war Grosz amerikanischer
Staatsbürger. 1946 wurde seine Autobiografie ‚A little yes, and a big no’ veröffentlicht, die erst 1955 mit dem Titel ‚Ein kleines Ja und ein großes Nein’ auf Deutsch erschien. In diesem Buch wird seine tiefe Zerrissenheit deutlich. 1959 kehrte Grosz mit seiner Frau aus den USA nach Deutschland zurück, wo er wenig später am 6. Juli 1959 nach einem Treppensturz in Folge von Trunkenheit starb.
Der Nachlass von George Grosz wird von der Houghton Library der Harvard University sowie vom Archiv der Berliner Akademie der Künste betreut. George Grosz‘ Arbeiten haben bis heute großen Einfluss auf politische Karikaturisten. Der Dreiecksplatz am Kurfürstendamm gegenüber dem Haus Cumberland wirkte mit zwei Einmündungen zur Schlüterstraße lange nur wie eine Verkehrsinsel. 1986 wurde er nach dem bedeutenden Maler, Grafiker und Satiriker George Grosz benannt.
Bild 1: George Grosz 1930 – Quelle: wikipedia.org · Bild 2: Zeichnung v. G. Grosz – Quelle: texaschapbook.com · Bild 3: Maul halten … v. G. Grosz – Quelle: tiscali.co.uk · Bild 4: Spaziergänger – Quelle: kettererkunst.de · Bild 5: Buchtitel G. Grosz – Quelle: berlinerliteraturkritik.de · Bild 5: Briefmarke G. Grosz – Quelle: elefantartpress.de
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