Johanna Kirchner

Johanna Kirchner

Johanna Kirchner • Vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt

Johanna Kirchner, geb. Stunz wurde am 24. April 1889 in Frankfurt am Main geboren und wurde am 9. Juni 1944 in Berlin-Plötzensee ermordet. Sie war eine Sozialdemokratin, als diese hauptamtlich tätig und äußerst aktive Widerstandskämpferin. Sie kam aus einer alten sozialdemokratischen Familie, ihr Großvater, einer der ersten SPD-Stadtverordneten in Frankfurt/Main, war während des Sozialistengesetzes aus der Heimatstadt ausgewiesen worden, sie trat mit 14 Jahren in die sozialistische Arbeiterjugend ein. Johanna Kirchner erlernte einen kaufmännischen Beruf. Sie verfasste Zeitungsberichte über Partei- und Gewerkschaftskongresse. 1913, kurz nach der Geburt ihrer ersten Tochter, heiratete Johanna Stunz Karl Kirchner und bekam ein Jahr später eine zweite Tochter. Gemeinsam waren sie als Berichterstatter auf Partei- und Gewerkschaftskongressen tätig. Während des Ersten Weltkrieges widmete sich Johanna Kirchner den in Not geratenen Frauen und Kindern. Nach Kriegsende arbeitete sie von 1919 bis 1920 als Mitglied im Frankfurter SPD-Vorstand. Sie beteiligte sich am Aufbau der Arbeiterwohlfahrt und initiierte 1923 die „Ruhrkinder-Aktion, durch die Kindern erwerbsloser Ruhrarbeiterfamilien Ferienaufenthalte bei Frankfurter Familien und in der Schweiz vermittelt wurden. 1926 wurde sie hauptamtliche Sekretärin im Frankfurter SPD-Büro und trat als Rednerin bei Parteiversammlungen auf. Nach dem die Nationalsozialisten 1933 an die Regierung kamen, erhielt Johanna Kirchner von einem sozialdemokratischen Polizeibeamten die Warnung, dass ihre Verhaftung drohe. Nach Diskussionen mit Genossen und Genossinnen aus den Führungszirkeln der SPD ging sie in das Saarland, das nach dem 1. Weltkrieg unter das Mandat des Völkerbundes gestellt worden war. Johanna Kirchner begann ihre Tätigkeit im SPD-Büro in Saarbrücken, verfasste Berichte an den Exilvorstand in Prag, vermittelte Informationen und Aufklärungsmaterial nach Frankfurt und betreute politische Emigranten. Joseph Goebbels hatte zwei Tage zuvor nach einem Gespräch mit Hitler notiert: „Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen Demonstration deutschen Volkswillens gestalten. Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt … Sind die Gewerkschaften in unserer Hand, dann werden sich auch die anderen Parteien und Organisationen nicht mehr lange halten können.“ 1935, die stimmberechtigte Bevölkerung des Saarlandes hatte sich mit 90,4 % für den Anschluss an Deutschland entschieden, richtete sie eine Flüchtlingsberatungsstelle in elsässischen Forbach, an der Grenze zum Saarland, ein. Die Betreuung politischer Emigranten war ein wichtiger Teil der Arbeit, aber auch Verschleierung weiterer Tätigkeiten: Das Sammeln von Nachrichten aus dem Reich, vor allem aus Frankfurt, Informationen für Widerstandsgruppen, Herstellung „illegaler Schriften“, Weiterversand der „Sozialistischen Aktion“, die aus Prag kam, vor allem nach Frankfurt am Main. Johanna Kirchner gehörte zu einer Delegation von SPD und KPD, die in die südfranzösischen Zentren der Emigration reiste und über die Situation in Deutschland berichtete. Die Zusammensetzung der Delegation illustrierte bereits das Anliegen: die Überwindung der Gräben zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten im Widerstand. Nebenbei jobbte Johanna Kirchner in einem von der Sozialdemokratin und Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, Marie Juchacz, betriebenen Restaurant und versuchte u. a. im „Hilfskomitee für verfolgte Antifaschisten“ den EmigrantInnen zu helfen. Sie fragte nicht danach, ob es SozialdemokratInnen, KommunistInnen oder AnarchistInnen waren. Sie war beseelt von dem Gedanken, dass sich nach dem NS-Regime eine „neue sozialistische Arbeiterbewegung“, die durch den Kampf gegen den Faschismus klüger und politisch reifer werden würde, durchsetzen kann. Diesem Kampf galt ihre illegale politische Widerstandsarbeit. Die „Rote Hilfe“ unterhielt ebenfalls eine Beratungsstelle in Forbach. 1938 kam Lore Wolf, die mit Johanna Kirchner seit langen Jahren befreundet war. Johanna Kirchners erwachsene Töchter Lotte und Inge, die weiterhin in Frankfurt wohnten, besuchten ihre Mutter mit dem Fahrrad. Die „Familienbesuche“ dienten dem Transport von Materialien nach Frankfurt und der Überbringung von Nachrichten und Informationen aus Frankfurt. 1937 wurde Johanna Kirchner aus Deutschland ausgebürgert.

Lotte Schmidt über ihre Besuche bei ihrer Mutter Johanna Kirchner im Saarland:

„Als Tochter besuchte ich natürlich meine Mutter öfters im Saarland. Aber zu dieser Zeit, so etwa Anfang 1934, ist eben auch versucht worden, möglichst viel Material unter den SPD-Genossen und -Sympathisanten hier im Reichsgebiet zu verteilen. Die meisten dieser Materialien kamen aus dem Ausland, obwohl natürlich auch hier bei uns illegale Zeitschriften, Rundbriefe usw. hergestellt und verteilt wurden. Mein Schwager Arnold Leetz ist ja auch 1934 im Zusammenhang mit einer ZdA-Publikation verhaftet worden, wofür er drei Jahre Zuchthaus bekam. Von den Besuchen bei meiner Mutter habe ich teilweise selber solche im Ausland hergestellten Materialien mit nach Frankfurt gebracht. Meistens waren das ganz kleine Zeitungen, die man in einer Streichholzschachtel unterbringen konnte. Wenn man sich als junges Mädchen, das ich ja damals war, etwas freundlich mit dem Zollbeamten unterhalten hat, wurde man eben etwas weniger kontrolliert. Wenn man diese Sachen halt unter ein bisschen Schokolade versteckt hat, konnte man bei der Kontrolle sagen, die hat man geschenkt bekommen, weil man eben gerne Schokolade isst. Ab und zu habe ich auf diese Weise auch Gewerkschaftsmaterialien, im Kleinformat hergestellte Schriften, Flugblätter und Tarnschriften nach Frankfurt gebracht, die von der internationalen Gewerkschaftsbewegung kamen und in denen also auch Anweisungen für die Gewerkschaftsarbeit bzw. für die Versuche zur Reorganisierung von Betriebsarbeit enthalten waren. Aber das Wichtigste dabei waren natürlich teilweise die Sachen, die man im Kopf behalten mußte. So habe ich verschiedene Informationen des Saarländer SPD-Büros an Frankfurter Genossen ausgerichtet, umgekehrt aber auch mündlich Nachrichten von hier nach draußen geleitet. Dinge, die der SPD-Exilvorstand wissen musste, habe ich gleich meiner Mutter mitgeteilt. Das waren Stimmungsberichte über Aktivitäten, die hier los waren, Informationen darüber, wo sich irgend etwas an illegaler Arbeit geregt hat, ebenso aber auch Meldungen über erfolgte Verhaftungen; die Meldungen über erfolgte Verhaftungen waren aus dem Grunde besonders wichtig, damit kein anderer Genosse diese geplatzte Adresse anläuft und dann auch hochgeht. Umgekehrt habe ich Nachrichten aus dem Saargebiet zurückgeleitet, die der Arbeit hier galten, was die Genossen hier in Frankfurt und Umgebung tun sollten. Dabei waren auch Materialien und Mitteilungen darüber, welche Aktivitäten an anderen Orten entwickelt wurden, damit man wusste, es gibt z. B. in Berlin und an was weiß ich nicht für Orten ähnliche Aktivitäten. Bei diesen Reisen, die ich als Tochter zu meiner Mutter unternahm und bei denen ich gleichzeitig auch als Kurierin für Materialien und Nachrichten fungierte, bin ich glücklicherweise niemals aufgefallen. In umgekehrter Richtung habe ich diese illegalen Materialien und Informationen an verschiedene Frankfurter Genossen geleitet, die ich gar nicht kannte. Ich bekam nur gesagt, dem und dem, an den muss ich diese Sachen weitergeben. Natürlich habe ich die erste Anlaufstelle immer gekannt. Mir wurde da beispielsweise gesagt: „Das ist für den Otto!“ Aber wer der Otto im Saargebiet war, das wusste ich damals nicht. (…) Was man nicht wusste, das konnte man bei einer eventuellen Verhaftung auch nicht sagen.“ Aus: Hessische Gewerkschafter im Widerstand 1933–1945, S. 239 f.    

Nach dem Anschluss des Saargebiets durch das NS-Regim floh sie nach Frankreich und richtete eine Beratungsstelle für Saarflüchtlinge ein. 1937 wurde Johanna Kirchner offiziell von den deutschen Behörden „ausgebürgert“ und 1940 ins Lager Gurs in Südfrankreich transportiert. Dort gelang ihr mit Hilfe des Lagerkommandanten die Flucht. 1942 wurde sie nach erneuter Verhaftung an die Gestapo ausgeliefert. Im Zuge der Verlegung kam sie auch ins Polizeigefängnis Frankfurt, bevor sie nach Berlin geschafft wurde.

Lotte Schmidt über die Begegnung mit ihrer Mutter Johanna Kirchner im Frankfurter Polizeigefängnis: Im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen meine Mutter wurde ich selbst im Herbst 1942 verhaftet. Im Laufe der ganzen Jahre des Faschismus hatte ich drei Verfahren wegen Hochverrat, eines wegen Landesverrat und eines wegen „Rassenschande“, da ich noch bis 1941 bei einem jüdischen Arzt gearbeitet habe. Jedes Mal hatte ich aber Glück gehabt. Dieses Mal kam ich ins Frankfurter Polizeigefängnis:

„(…), und zwar in eine Zelle zusammen mit über 40 anderen, obwohl sie nur für 15 Gefangene berechnet war. Dennoch war ich ein Ausnahmefall, weil ich eine Pritsche für mich allein bekam, was ganz selten war. Mir und meiner Schwester wurde vorgeworfen, dass wir meiner Mutter illegales Material übergeben und Nachrichten übermittelt hätten und so die Verbindungen der SPD zunächst zwischen dem Saargebiet und dann von Frankreich nach Deutschland hergestellt hätten. Plötzlich hörte ich eines Abends draußen vor meiner Zelle eine Wärterin fürchterlich schreien: „Schmidt, Lotte! Rauskommen!“ Ich hab’ schon gedacht: „Jetzt geht’s also los“ und Gott, wer weiß was. Dann sagte sie: „Komm, schnell, schnell, schnell! Die Treppe rauf in den 2. Stock!“ Ich wusste überhaupt nicht, was mir geschah. Ich dachte, das gibt ‘ne Vernehmung oder sonst irgendwas Schreckliches. Dann schloss sie eine Zelle auf und sagte wieder: „Macht schnell, macht schnell!“ Als ich in der Zelle drin war, saß dort meine Mutter, die genauso überrascht war, mich zu sehen, wie ich überrascht war, sie zu sehen. Da ich überhaupt nicht wusste, wer die Wärterin war, hab’ ich angenommen, das wäre eine Finte und hab’ meiner Mutter nur ins Ohr geflüstert, dass ich wegen ihr hier wäre, und hab ihr auch kurz geschildert, dass ich ausgesagt hätte, alles, was sie angegeben hätte darüber, was ihre Töchter ihr angeblich mitgeteilt hätten, dass das wahrscheinlich nur Angabe gewesen wäre. Meine Mutter sagte mir daraufhin, dass sie dasselbe ausgesagt hätte. Und wir haben uns in einer Viertelstunde natürlich viele Dinge erzählt, das ist selbstverständlich. Meine Mutter hat mir bei dieser Gelegenheit aber auch gesagt, ich könnte dieser Wärterin vertrauen, wenn irgendetwas wäre. Das sei eine alte SPD-Genossin, die sie von früher her kennen würde. Diese Wärterin war die Luise Wetzel, die ich dann nach 1945 in Bornheim wieder bei der SPD gefunden habe. Es war ganz unwahrscheinlich, was diese Frau auf sich genommen hat. Das war auch eine Form von Widerstand – wirklich enorm!  Es war unwahrscheinlich viel Wert, dass wir uns aussprechen konnten. Meine Mutter befand sich gerade auf Transport von Saarbrücken nach Berlin zum 1. Prozess. Vielleicht habe ich es diesem Umstand zu verdanken, dass ich nach 13 Tagen wieder aus der Haft entlassen wurde.“ Aus: Hessische Gewerkschafter im Widerstand 1933-1945, S.269 f.    

Nach Gestapo Einzelhaft kam sie ins Gefängnis Berlin Moabit.

Lore Wolf über ihre Begegnung mit Johanna Kirchner im Gefängnis Berlin-Moabit: „Eines Tages treffe ich Johanna Kirchner. Ich bin sehr erschrocken, als ich die blasse, vollkommen abgemagerte Frau wieder treffe. Ich habe nicht erwartet, sie hier zu sehen. Als sie mich erkennt, fällt sie mir um den Hals und weint. „Auch du hier?“ schluchzt sie. Ja, auch ich. Und viele andere, die sie und ich aus den Jahren der Emigration und der Tätigkeit für die Rote Hilfe kennen. In den Gefängnissen und Zuchthäusern Deutschlands begegnen wir uns. Ich habe nicht gewusst, dass es solche Arten von Wiedersehen geben kann. Die, mit denen man lange Jahre gearbeitet, gelebt, gekämpft hat, die man so gut kennt, weil sie Mitverschworene eines zähen Ringens um Freiheit sind, sieht man wieder und weiß, dass es vielleicht das letzte Mal ist. Die Begegnung ist glücklich und furchtbar zugleich. Es ist ein Gemisch aus freudigem Wieder erkennen und bitterer Gewissheit, dass man uns alle aus gleichem Grund töten wird. Und dass immer mehr eingefangen und verurteilt werden. Als ich Johanna behutsam am Arm führe und sie manchmal den Kopf seitwärts neigt und mich anlächelt, froh, einen Menschen gefunden zu haben, der von ihr weiß, ahnen wir beide nicht, dass sie ein Jahr später nicht mehr am Leben sein würde. Jetzt, in diesem Sommer, hatte der Prozess noch nicht stattgefunden. Sie war noch nicht verurteilt. Sie hoffte noch. Ich kannte sie lange, seit meiner Kindheit. Wir waren in einer Stadt aufgewachsen, seit meinem fünfzehnten Lebensjahr war ich mit der ganzen Familie Kirchner befreundet. Der Ehemann Johannas, Karl Kirchner, war Kommunalpolitiker der SPD, Stadtverordnetenvorsteher in Frankfurt am Main und mein Chef im Rathaus. Er war es, der mich schon früh veranlasste, der Gewerkschaft und der Naturfreundebewegung beizutreten. Wir wanderten zusammen, demonstrierten gemeinsam in der turbulenten Zeit der zwanziger Jahre, feierten Familienfeste und vor allem den 1. Mai. So verband uns gemeinsames Erleben, gemeinsamer Kampf für die Interessen der Werktätigen. Johanna war eine hübsche, lebhafte, intelligente Frau. Die Grübchen in den Wangen erhöhten ihren Liebreiz. Von Natur aus gutmütig, konnte sie doch sehr energisch werden, wenn es galt, die Rechte der arbeitenden Menschen zu verteidigen. (…) Am 2. Juni 1942 begann ihr Leidensweg durch die Hölle der Gestapo-Vernehmungen, die aus der schönen jungen Frau ein mageres, fahlgesichtiges Wesen machten, von dem man nicht mehr wusste, wie alt es war. Jeden Tag sah ich sie nun eine kurze Stunde, wir turnen im Innenhof des Gefängnisses zusammen, ich gehe neben ihr, wenn wir den vorgeschriebenen Kreis ablaufen. Wir halten die Köpfe hoch, legen sie manchmal in den Nacken, um soviel wie möglich Luft einzuatmen und die Lungen damit zu versorgen. Gesund zu bleiben ist unsere wichtigste Aufgabe. Immer mehr Frauen werden eingeliefert. Moabit füllt sich. (…) “ Aus: Arbeiterjugendbewegung in Frankfurt 1904 –1945, S. 93 f.    

Der Volksgerichtshof verurteilte sie im Mai 1943 zu zehn Jahren Haft. Am 20. April 1944 wurde das Urteil auf Betreiben des Volksgerichtshofvorsitzenden Freisler, der ihr vorwarf, „jahrelang unter Emigranten und in unserem Reich hochverräterisch gewühlt“ zu haben, in die Todesstrafe umgewandelt:

Das Todesurteil im zweiten Volksgerichtshofprozess gegen Johanna Kirchner

Die alte Sozialdemokratin Frau Johanna Schmidt hat in der Emigration Jahre lang mit den Volksverrätern Max Braun und Emil Kirschmann unter Emigranten und in unserem Reich hochverräterisch gewühlt, hat im großen übelste marxistische Hochverratspropaganda betrieben, hat im großen kulturelle, wirtschaftliche, politische und militärische Spionagenachrichten landesverräterisch eingezogen und weitergegeben; und hat dazu als Nachrichtenquelle sogar ihre Tochter missbraucht.

Mit Schimpf und Schande von unserem Reich schon vor Jahren aus unserer Mitte ausgestoßen, wird sie –- für immer ehrlos – mit dem Tode bestraft.    
 
Gründe
   
Frau Johanna Schmidt, die schon seit 1907 Mitglied der SPD war und in den letzten Jahren vor unserer nationalsozialistischen Volkserneuerung als Sekretärin im Frankfurter SPD-Büro angestellt war, wanderte 1933 ins Saargebiet. Wie sie sagt nicht, um zu emigrieren, sondern weil sie glaubte, in Frankfurt nun zunächst längere Zeit arbeitslos zu werden. In Saarbrücken nahm sie Stellung bei einer Gesinnungsgenossin, Frau Juchacz, als Büffetaufsicht. Als die Saar sich geschlossen zum eigenen Blut und Volk bekannte und das Saargebiet wieder ins Reich zurückkehrte, wurde sie nicht von dem allgemeinen Strome der Begeisterung mitergriffen, sondern wanderte jetzt nach Forbach, ins damalige Frankreich, aus und nahm eine Stellung in einem Saarflüchtlingskomitee an, das die berüchtigten Volksverräter Max Braun und Emil Kirschmann leiteten. Diese selbst freilich flohen bald weiter, der erste nach Paris und der letzte nach Mühlhausen im Elsaß. Frau Schmidt aber als Sekretärin führte nun die Geschäfte unter der nur sehr losen Aufsicht von Braun, der nur selten von Paris hinkam, und unter der etwas festeren Aufsicht von Kirschmann, der zwei- bis dreimal wöchentlich von Mühlhausen herüberkam.    
   
Welch Geistes Kind dies Komitee war, ergibt sich daraus, daß es vom internationalen Gewerkschaftsbüro und von der Roten Hilfe finanziert wurde! Und wie dies Büro seine Hilfsaufgabe auffaßte, kann man daraus erkennen, daß allein die Gehälter für Kirschmann und Frau Schmidt 20 bis 25 Prozent der Gesamtmittel verschlangen!    
   
Im Rahmen der Hilfeleistungen stellte das Komitee, also Frau Schmidt, über Emigranten „Steckbriefe“ und „Empfehlungen“ aus, und bemühte sich auch um Aufenthaltserlaubnisse und zahlte Unterstützungen. Bei dieser Tätigkeit, die eine Art Emigranten-Rote Hilfe ist, blieb es aber nicht.    
   
Vielmehr begann das Komitee, und in ihm Frau Schmidt als Sekretärin, in außerordentlichem Umfang hochverräterisch zersetzende Hetzpropaganda gegen unser nationalsozialistisches Deutsches Reich. Man gab eine Zeitschrift – „Saarnachrichten“ – heraus, in etwa 500 Stück jede Nummer, und die Matrizen zu ihr schrieb Frau Schmidt! Außerdem verbreitete das Flüchtlingshilfekomitee die „Sozialistische Aktion“ des Prager sozialdemokratischen Emigrantenklüngels, der „Sopade“, und andere Hetzzeitschriften in je 100 bis 200 Stück. Diese fügte es der eigenen Zeitschrift bei deren Verbreitung bei. Frau Schmidt sagt selbst, daß der Hauptinhalt dieser Zeitschrift Greuelnachrichten über Deutschland waren. Und beim Versandfertigmachen all dieses Zersetzungsgiftes war Frau Schmidt mittätig! Aber sie blieb mit ihrer hochverräterischen Tätigkeit nicht außerhalb der Grenzen des Reiches. Vielmehr arbeitete sie sogar an einem Plan, von der Schweiz her in ihrer Heimatstadt, in Frankfurt am Main, die SPD wieder aufzuziehen! Sie, die durch ihre Emigration doch jedes Recht, in unsere deutschen Angelegenheiten mitzureden und mitzuarbeiten, verloren hatte!!    
   
Neben dieser systematischen Hetze stehen einzelne ehrlose Volksverräterhandlungen, wie etwa folgende: Ein in Spanien dingfest gemachter Volksverräter von Puttkammer sollte über Italien nach Deutschland ausgeliefert werden. Ihm gelang aber die Flucht von Italien in die Schweiz. Und an der Schweizer Grenze nahm Frau Schmidt, die zu diesem Zweck dorthin gereist war, ihn in Empfang, um ihn in einem Schweizer Sanatorium unterzubringen!    
   
Alles bisher Geschilderte wird aber überboten durch die landesverräterische Tätigkeit der Angeklagten. Kirschmann wollte für seine Hetzzeitschriften kulturelles, wirtschaftliches, politisches und militärisches Nachrichtenmaterial haben. Deshalb hatte er Frau Schmidt und anderen Mitarbeitern in der Forbacher Flüchtlingshilfeorganisation nahe gelegt, solches Material zu sammeln. Frau Schmidt sollte dafür sorgen, daß dies Material bei ihr zusammenfloß, und sollte es ihm dann weiterleiten. Das tat sie auch. Und sie entwickelte dazu eine umfangreiche Tätigkeit, sprach mit Gewährsmännern, die für sie ständige Nachrichtenquellen waren, wie zum Beispiel einen gewissen Harig, von Hünneckens, Niebergall, Kirn und anderen; und sandte das so gewonnene Material Kirschmann. Darunter befand sich die Mitteilung, daß ein namentlich benannter früherer Kommunist Gestapovertrauensmann sei, eine Nachricht also, die im Interesse der Sicherheit unseres Reiches geheim bleiben muß. Darunter befanden sich ferner Nachrichten über Arbeitsdienstlager im Hunsrück und darüber, was auf dem „Eberkopf los sei“. Ab und zu bekam sie auch militärische Nachrichtensonderaufträge von Kirschmann. Etwa, zu melden, ob neue Truppen in Saarlautern eingetroffen seien, und welche Truppen in Saarbrücken seien. Auch darum bemühte sie sich. Und das alles sind nach unserer Auffassung Dinge, die man in den ersten Jahren nach der nationalsozialistischen Machtergreifung noch mehr als nachher bis zum Kriegsbeginn im Interesse unserer Landesverteidigung geheim halten mußte, zumal wir damals noch nicht so stark waren wie nach dem Aufbau unserer Wehr.    
   
Bis zu welchem Grade der Verkommenheit Frau Schmidt gesunken war, erkennt man daraus, daß sie sogar ihre beiden Töchter unter dem Vorwand, gemeinsam die Ferien verbringen zu wollen, aus Deutschland nach Hohwals im damals französischen Elsaß lockte, um sie dort über politische, soziale, kulturelle, wirtschaftliche und militärische Verhältnisse auszufragen; oder wie Kirschmann in seinen Briefen an sie und sie in ihren Antwortbriefen sich auszudrücken pflegte, auszuquetschen. Sie hatte nichts dagegen, daß Kirschmann auch diese Nachrichten auswertete; nur bat sie ihn, dies nicht sofort öffentlich zu tun, und zwar aus Vorsicht. Kirschmann pflegte die Informationen, die er so bekam, journalistisch zurechtgemacht in seinem Informationsdienst zu verwerten. Dadurch wurden diese Informationen auch den französischen Dienststellen erreichbar. Und das wußte natürlich auch Frau Schmidt. Durch dies Verhalten ist also die Hochverräterin zur Landesverräterin geworden. Und damit ist bei ihr der Abstieg in die vollkommene Ehrlosigkeit vollendet; ein Abstieg, der mit der Emigration unaufhaltsam begann, weil der entwurzelte Mensch, der sich von Volk und Land getrennt hat, auf der abschüssigen Bahn des Verrates keinen Halt mehr findet.    
   
Gegenüber diesem Hoch- und Landesverrat (§§ 83, 89 StGB) bedeutet es nichts, daß Frau Schmidt die Nachrichtentätigkeit und überhaupt ihre Tätigkeit im Dienste des Volksverräters Kirschmann gut ein Jahr vor Kriegsbeginn einstellte; wie sie behauptet freiwillig; und daß sie dann einen Beruf in einem Haushalt ergriff. Und für ihre Beurteilung ist es ganz bedeutungslos, daß sie von den Franzosen bei Kriegsausbruch in ein Konzentrationslager gebracht wurde. Sie sagt freilich, sie habe sich 1940 bemüht, nach Deutschland zurückzukommen, weil sie ihre Tat bereut habe, und weil sie gehofft habe, im Kriege nach Deutschland und wieder in die Gemeinschaft des Volkes zurückzukönnen. Wenn sie sich wirklich darum beworben hat, ernst ist es ihr darum nicht gewesen. Denn sie ist noch ein Jahr lang, ehe sie verhaftet und an die Demarkationslinie gebracht wurde, vollkommen frei in Aix les Bains gewesen. Wenn sie so ehrlich bereut hätte, und wenn ihre Sehnsucht nach Deutschland zurück so groß gewesen wäre, so wäre es ihr ein leichtes gewesen, in diesem Jahr den Weg über die Demarkationslinie ins besetzte Frankreich und damit nach Deutschland zu finden.    
   
Und ein weiteres: Selbst eine ehrliche Reue hätte der Volksgerichtshof in diesem Falle nicht berücksichtigt. Denn ein echter Verrat am eigenen Volke läßt keine Reue zu. Und jedenfalls ist die Reue bei echtem Verrat zu spät. Denn Verrat ist einer der Fälle, in denen die Tat den Täter richtet.    
   
Unser Reich hat Frau Schmidt schon Anfang 1937 mit Schimpf und Schande aus unserer Mitte gestoßen. Und mit der Ausbürgerung hat sie alle Ehre bereits verloren. So blieb für den Volksgerichtshof nur übrig, sie, die alles oben Geschilderte unter dem Druck des vorgefundenen Beweismaterials vor der Polizei und heute vor Gericht eingestanden hat, für ihren Verrat mit dem Tode zu bestrafen. Denn eine andere Strafe kann um der Selbstachtung des Reiches, des Sauberkeitsbedürfnisses unseres Volkes und um des Schutzes von Reich und Volk willen nicht in Frage kommen.    
   
Weil Frau Schmidt verurteilt ist, muß sie auch die Kosten bezahlen.    
   
gez.: Dr. Freisler

Sie wurde am 9. Juni 1944 im Gefängnis Berlin-Plötzensee „im Namen des Volkes“ hingerichtet.

1947 wurde eine in der Siedlung Westhausen in Frankfurt am Main gelegene Straße in Johanna-Kirchner-Straße umbenannt. Ebenso existiert in Saarbrücken eine Hanna-Kirchner-Straße. In der Nähe der Hinrichtungsstätte Plötzensee wurde 1962 der Kirchnerpfad nach ihr benannt. Seit 1990 verleiht die Stadt Frankfurt am Main die „Johanna-Kirchner-Medaille“ an Menschen, die gegen staatliche Unterdrückung kämpfen. An der Frankfurter Paulskirche erinnert eine Gedenktafel an die Ermordete. Erstmals 2011 vergibt die Arbeiterwohlfahrt und die Fachhochschule Frankfurt den Johanna-Kirchner-Preis in Höhe von 1.000 Euro an den Verfasser einer Abschlussarbeit in den Themen Altenhilfe, Kinder- und Jugendarbeit oder Straffälligenarbeit.

Bild 1: Johanna Kirchner – Quelle: gdw.berlin.de · Bild 2 + 3: Buchtitel zu Johanna Kirchner -Quelle: verlagsentsprechend · Bild 4: Gedenktafel f. J. Kirchner in Frankfurt am Main – wikimedia.org · Bild 5: Strassenschild in Frankfurt am Main – Quelle: google.de

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