Trawniki • SS-Hilfskräfte

Trawniki • SS-Hilfskräfte

Osteuropäische Hilfstruppen, die die Vernichtungsmaschinerie der SS am Laufen hielten ….

Im Ort Trawniki im Landkreis Świdnicki, etwa 40 km südöstlich von Lublin, richtete die deutsche Totenkopf-SS im Herbst 1941 auf dem Gelände einer alten Zuckerfabrik mit Bahnanschluss ein Zwangsarbeitslager und ein SS-Ausbildungslager für „Freiwillige“ ein. Die dort ausgebildeten Hilfskräfte für die KZ-Wachmannschaften wurden zur Durchführung des Völkermords eingesetzt und häufig als „Trawniki-Männer“ bezeichnet oder kurz „Trawniki“ genannt. Es waren vor allem Ukrainer, aber auch Letten, Esten, Litauer, Polen und Volksdeutsche aus der Sowjetunion.  Ab Herbst 1943 wurde das Zwangsarbeitslager Trawniki als Außenlager dem KZ Majdanek unterstellt. Im „Ausbildungslager Trawniki der SS“ wurden, wie es im SS-Jargon hieß, „fremdvölkische Einheiten“ für den SS- und Polizeiführer von Lublin, Odilo Globocnik, aufgestellt und ausgebildet. Diese sollten in erster Linie zur Ermordung der Juden im Generalgouvernement (deutsch besetztes Polen und Ukraine) eingesetzt werden. Die Befehlsgrundlage ergab sich aus der Ernennung Globocniks als Beauftragter des Reichsführers-SS für Errichtung von SS- und Polizeistützpunkten im neuen Ostraum vom 17. Juli 1941. In den eroberten Gebieten der Sowjetunion sollten diese Stützpunkte errichtet werden, um die Ermordung von dort siedelnden Minderheiten und die deutsche Besiedlung zu steuern. 
 
 
Die nichtdeutschen Absolventen der Ausbildung wurden Trawniki, Wachmänner, Askaris oder Hilfswillige (Hiwis) genannt. Sie waren zwischen 19 bis 35 Jahre alt und einer strengen Disziplin unterworfen.  Mit dem Scheitern der Eroberung der Sowjetunion beschränkten sich die Einsatzgebiete der Trawniki auf das Gebiet des Generalgouvernements. Die beiden Hauptaufgaben beschränkten sich auf die Bewachung und Partisanenbekämpfung. So wurden Trawniki zur Bewachung von militärischen und zivilen Objekten, bei Zwangsarbeitslagern und im Arbeitslager von Trawniki eingesetzt. Ab 1943 kamen Trawniki-Männer auch zur Bewachung des KZ Auschwitz und des KZ Stutthof zum Einsatz. Ein Teil der Trawniki-Männer war im Rahmen der Aktion Reinhard bei der Ermordung von Juden beteiligt. Mehrere Züge des Personals von Trawniki wurden in den Vernichtungslagern von Belzec, Sobibór und Treblinka eingesetzt. Innerhalb der Lager übten sie Funktionen aus wie den Betrieb von Gaskammern und bei der Leichenverbrennung. Auch die Arbeitskommandos wurden von Trawniki bewacht. Einerseits kann kein Zweifel bestehen, dass die Trawniki ihre mörderischen Aufgaben in den Vernichtungslagern erfüllten. Andererseits häuften sich Fluchtversuche im Herbst 1942 und im April 1943, weil sie fürchteten, als unliebsame Zeugen schließlich selbst ermordet zu werden. Ein zahlenmäßig großer Teil von Trawniki nahm an den „Umsiedlungen“ oder „Aktionen“  wie: die Ghettoräumungen und Massenerschießungen teil. Hier ist vor allem die Aktion Reinhard bei Warschau und Lublin zu nennen, wo Juden von Juli bis September 1942 nach Treblinka deportiert wurden. Als es zum Ghettoaufstand im April/Mai 1943 in Warschau kam, wurden zur militärischen Niederschlagung auch Trawniki eingesetzt. Ab Herbst 1943 verlagerte sich der Schwerpunkt des Einsatzes auf die Partisanenbekämpfung im Distrikt Lublin. Ab Sommer 1944 mussten sich auch die Einsatzkommandos mit den deutschen Truppen nach Westen zurückziehen, so dass sie z. B. bei der Leichenverbrennung in Dresden im Februar 1945 eingesetzt wurden.
 
Bis zu tausend der nach dem Kriege in die Sowjetunion zurückgeführten Trawniki wurden von Straf- und Militärgerichten angeklagt und fast alle als Kollaborateure verurteilt, etliche hingerichtet. In Warschau fand im Jahre 1954 ein Verfahren gegen Trawniki statt. In Deutschland standen ein Volksdeutscher und ein Teil des deutschen Führungspersonals von Trawniki vor Gericht. Zuletzt wurden in den achtziger Jahren Ermittlungen gegen Trawniki in Kanada und den Vereinigten Staaten geführt. Als in den USA publik wurde, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auch etlichen ehemaligen Hilfswilligen der SS die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen worden war, wurde eine Sonderermittlungsbehörde, das Office of Special Investigations, gegründet. Die Trawniki können in den USA nicht belangt werden, weil die Verbrechen nicht auf amerikanischem Boden geschahen. Ziel war es deshalb, ihnen die Staatsbürgerschaft wieder abzuerkennen und sie abzuschieben. Ein Verdächtiger wurde 1984 an die Sowjetunion ausgeliefert und dort 1987 verurteilt und hingerichtet. Ein anderer, der sich in den Vereinigten Staaten John Demjanjuk nannte, wurde 1986 an Israel ausgeliefert, dort in erster Instanz 1988 zum Tode verurteilt, aber in der Berufungsverhandlung 1993 freigesprochen. Er kehrte in die USA zurück und wurde im Mai 2009 nach Deutschland abgeschoben, wo gegen ihn ein Strafverfahren wegen Beihilfe zum Mord angestrengt wurde. Im Mai 2011 wurde er vom Landgericht München II wegen Beteiligung am Massenmord an 28.060 Juden zu fünf Jahren Haft verurteilt.
 
Der Fall John Demjanjuk
 
 
Da der „Fall Demjanjuk“ noch bei einigen in ‚frischer‘ Erinnerung ist, gehe ich hier näher auf ihn ein, exemplarisch sozusagen für das Handeln dieser Männer in Zeiten der Barbarei ….
 
Demjanjuk, geboren als Iwan Mykolajowytsch Demjanju, im April 1920 in Dubowi Macharynzi bei Kosjatyn, der heutigen Ukraine, ist ein ehemaliger ukrainischer KZ-Aufseher. Nach Abschluss einer vierjährigen Schulzeit arbeitete Demjanjuk als Traktorist in einer Kolchose. 1940 wurde er von der Roten Armee eingezogen. Im Mai 1942 geriet er bei der Schlacht von Kertsch in deutsche Kriegsgefangenschaft. Demjanjuk kam in ein Kriegsgefangenenlager bei Chełm, wo er vermutlich als sogenannter Hilfswilliger rekrutiert wurde. Er wurde im SS-Außenlager Trawniki ausgebildet und anschließend von der SS vereidigt. Seine erste Aufgabe war die Bewachung jüdischer Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft. Am 27. März 1943 wurde er  in das Vernichtungslager Sobibór abkommandiert, wo er als einer von etwa 130 Hilfswilligen unter dem Kommando von 20 bis 30 Deutschen gedient hat und zur Außensicherung des Vernichtungslagers eingesetzt worden sein soll. Anfang Oktober 1943 wurde er in das bayerische KZ Flossenbürg versetzt. Vor Kriegsende diente Demjanjuk vermutlich noch kurze Zeit in der auf deutscher Seite kämpfenden Russischen Befreiungsarmee, der sog. Wlassow-Armee.
 
Im Mai 1945 stellte sich Demjanjuk im Lager für ‚Displaced Persons‘ in Landshut vor. Im Juli 1947 war er Lastwagenfahrer für die US Truck Company 1049 in Regensburg und heiratete die Ukrainerin Wera, die er in einem DP-Lager kennengelernt hatte. Über Bad Reichenhall und Feldafing kam er am 14. September 1949 nach Ulm, wo laut Geburtsregister am 7. April 1950 in der als DP-Lager genutzten Sedankaserne seine Tochter Lydia geboren wurde. Im Oktober 1950 versuchte er über das Resettlement Center in Ludwigsburg in die USA auszuwandern, kehrte aber wegen des Verdachtes, er sei an Tuberkulose erkrankt, nach Ulm zurück. Am 29. Januar 1952 reiste die Familie über Bremerhaven in die USA aus. Dort änderte Demjanjuk seinen Vornamen von Iwan auf John. Im November 1958 erhielt er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er lebte mit seiner Frau zunächst in Indiana, später in Seven Hills, Cuyahoga County, Ohio, wo er als Automechaniker arbeitete.
 
1975 schickte die sowjetische Regierung an US-Senatoren eine Liste mit 70 Namen angeblicher NS-Kollaborateure, die nach Amerika emigriert waren, einer der Namen war der Demjanjuks. Im Sommer 1976 veröffentlichte eine in New York erscheinende ukrainische Zeitschrift die Aussage Ignat Daniltschenkos, eines verurteilten Sobibór-Wächters, er habe gemeinsam mit Demjanjuk Dienst in Sobibór versehen. 1977 gelangten die US-Behörden an eine Kopie seines Dienstausweises, auf dem seine Einsatzorte verzeichnet sind. Darüber hinaus fanden die Ermittler eine Verlegungsliste, die bestätigt, dass Demjanjuk am 27. März 1943 an die Dienststelle Sobibór abkommandiert wurde. Deshalb wurde Demjanjuk 1981 die amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannt.
 
Etwa zur gleichen Zeit meldeten sich in Israel Überlebende des Vernichtungslagers Treblinka, die auf Fotos von John Demjanjuk den als „Iwan der Schreckliche“ berüchtigten Wärter zu erkennen glaubten. Im Oktober 1983 stellte Israel ein Auslieferungsersuchen an die USA, dem am 27. Januar 1986 stattgegeben wurde. Am 25. Februar 1987 begann die Verhandlung in Jerusalem. Der Prozess wurde zu einem internationalen Medienereignis. Im Prozess sagte Demjanjuk aus, er sei über Jahre ein einfacher Kriegsgefangener gewesen. Angesichts der Zustände im Lager bei Chelm wurde ihm nicht geglaubt, dass er dort so lange überlebt haben konnte. Das Bezirksgericht hielt sich deshalb an die Zeugenaussagen von fünf Überlebenden aus Treblinka und an zwei nicht ganz deutliche Erklärungen von SS-Angehörigen. Es hatte keine Zweifel, dass Demjanjuk der berüchtigte Treblinka-Massenmörder „Iwan der Schreckliche“ sei, und verurteilte ihn am 25. April 1988 zum Tode. Demjanjuk legte gegen das Urteil Berufung ein. Bei Recherchen, die durch die Auflösung der Sowjetunion möglich wurden, fanden die Ermittler Aussagen von 37 in der UdSSR verurteilten Treblinka-Wächtern. Aus diesen ging hervor, dass der Nachname von „Iwan dem Schrecklichen“ im Lager Treblinka nicht Demjanjuk, sondern Martschenko gewesen sein soll. Zudem stellte sich heraus, dass das dem Justizministerium der Vereinigten Staaten unterstellte Office of Special Investigations (OSI) bereits vor dem Ausbürgerungsverfahren Unterlagen zurückgehalten hatte, die darauf hindeuten, dass es sich bei „Iwan dem Schrecklichen“ nicht um John Demjanjuk, sondern um Iwan Martschenko handele. Am 29. Juli 1993 sprach der Oberste Gerichtshof Israels Demjanjuk einstimmig frei. Demjanjuk kam nach siebenjähriger Haft zurück in die USA, obwohl ihn das Gericht für einen Sobibór-Aufseher hielt – deswegen war er aber nicht angeklagt und auch nicht ausgeliefert worden. 1998 bekam er seine US-amerikanische Staatsbürgerschaft zurück.
 
Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen führte gegen Demjanjuk ein Vorermittlungsverfahren durch. Sie sah es danach als erwiesen an, dass er zwischen März und September 1943 als Aufseher im Lager Sobibór an der Ermordung von „mindestens 29.000 Menschen“ mitgewirkt habe, darunter an 1.939 Deutschen. Anhand der Transportlisten wurden die Namen der Opfer ermittelt. Nach dem Kenntnisstand der Zentralen Stelle gibt es keine Aussage, dass Demjanjuk Häftlinge eigenhändig ermordet habe. Sobibór war jedoch ein reines Vernichtungslager, Aufseher seien in allen Bereichen eingesetzt worden. Im Februar 2009 wurde vom Bayerischen Landeskriminalamt die Echtheit des in den USA archivierten SS-Dienstausweises Demjanjuks bestätigt. Die Münchner Staatsanwaltschaft I beantragte daraufhin am 11. März 2009 einen internationalen Haftbefehl gegen Demjanjuk, um eine Auslieferung nach Deutschland zu erreichen. Am 12. Mai 2009 kam Demjanjuk in einem Lazarettflugzeug aus den USA in München an. Demjanjuk wurde in die Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt München überstellt. Dort wurde ihm der Haftbefehl bekanntgegeben. Demjanjuk wurde nach mehreren ärztlichen Untersuchungen für haftfähig erklärt. Er befand sich seitdem in Untersuchungshaft. Anfang Juli wurde bekannt, dass Demjanjuk von Ärzten als verhandlungsfähig eingestuft wurde, die Verhandlungsdauer pro Tag dürfe aber nicht mehr als zweimal 90 Minuten betragen.
 
In den Niederlanden formierten sich im April 2009 Angehörige der Opfer zu einer Gruppe, die beim Prozess in Deutschland als Nebenkläger auftritt.
 
Am 13. Juli 2009 wurde von der Staatsanwaltschaft München I Anklage gegen John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 27.900 Fällen erhoben.
 
Der Prozess begann am 30. November 2009 und war ein juristisches Novum, weil erstmals in der bundesdeutschen Justizgeschichte ein nichtdeutscher, untergeordneter NS-Befehlsempfänger ohne konkreten Nachweis einer Tat vor einem deutschen Gericht stand. Im Prozess, der auf zunächst 35 Verhandlungstage angesetzt war und immer wieder verlängert wurde, sagten zahlreiche Zeugen aus. Von großer Bedeutung für das Verfahren war die Aussage des Gutachters Dieter Pohl vom Institut für Zeitgeschichte am 13. Januar 2010. Laut Pohl sei über das Verhalten der Trawniki nur sehr wenig bekannt. Die ausländischen Helfer seien jedoch durchgängig am Massenmord an den Juden beteiligt gewesen. Auch als Handwerker und zu Küchendiensten wurden sie eingesetzt. Im Fall der Flucht hätten Trawnikis mit der Todesstrafe rechnen müssen. Allerdings seien manche der Ergriffenen auch nur mit Arrest oder KZ-Haft bestraft worden. In einem Fall habe es einen gemeinsamen Fluchtversuch von zwei Trawnikis und fünf Gefangenen gegeben.
 
 
Am 19. Januar 2010 wurden die jüdischen Überlebenden und Teilnehmer des Häftlingsaufstandes von Sobibór, Thomas Blatt und Philip Bialowitz, als Zeugen der Anklage vernommen. Die beiden Zeugen und zugleich auch Nebenkläger im Prozess waren Arbeitshäftlinge im Vernichtungslager Sobibór zu der Zeit, in der auch Demjanjuk dort als Wachmann gedient haben soll. Sie berichteten von ihren Erlebnissen in Sobibór, daran, dass die Trawniki die Häftlinge mit Bajonetten in die Gaskammern trieben und mit ihrer starken Präsenz jeden Fluchtversuch der Häftlinge verhinderten. An Demjanjuk als Wachmann könnten sie sich jedoch nicht erinnern.
 
Am 2. Februar 2010 erfolgte eine Befragung des ehemaligen Chefermittlers der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Thomas Walther. Laut Walther bedürfe der eherne Grundsatz in deutschen Strafverfahren, dass eine konkrete Tat ermittelt werden müsse, in dem speziellen Fall der industriell durchgeführten Massentötung der Nazis einer Anpassung. Todesfabriken wie Sobibór seien eine einzigartige Situation gewesen. Deshalb sei er zu dem Schluss gekommen, „dass ich so einen Einzeltatnachweis in einer solchen Einrichtung nicht zu führen habe“.
 
Am 22. Februar 2011 verlas der Verteidiger Ulrich Busch eine Erklärung seines Mandanten, der den gesamten Prozess hindurch geschwiegen hatte. Darin kündigte Demjanjuk einen Hungerstreik an, falls eine 1400 Seiten starke Akte des russischen Geheimdienstes, die seine Unschuld belegen soll, nicht als Beweismittel der Verteidigung zugelassen würde. Weiter erklärte Demjanjuk, er habe die Hungersnot unter Stalin, die deutsche Kriegsgefangenschaft, in der dreieinhalb Millionen Gefangene starben und dann die Todeszelle in Israel mit Todesangst überlebt. „Jetzt, am Ende meines Lebens, versucht Deutschland – die Nation, die ohne Gnade und grausam Millionen unschuldiger Menschen ermordet hat – meine Würde, meine Seele, meinen Geist und mein Leben auszulöschen mit einem politischen Schauprozess und dem Versuch, mich, einen ukrainischen Bauern, für die Verbrechen, die Deutsche im Zweiten Weltkrieg verübt haben, schuldig zu sprechen.“
 
Am 17. März 2011 schloss das Gericht die Beweisaufnahme ab.
 
Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz forderte in seinem Plädoyer am 22. März 2011 eine Gesamtstrafe in Höhe von sechs Jahren Freiheitsstrafe und sah es als erwiesen an, dass Demjanjuk im Jahr 1943 bei der Ermordung von mindestens 27.900 Juden mitgewirkt habe. Nach Meinung der Staatsanwaltschaft seien die Vorwürfe auch ohne einzelnen Tatnachweis stichhaltig. Jede Schuld sei individuell, Zweck der Strafe sei aber auch Sühne und für eine gewisse Genugtuung bei den Opfern zu sorgen. Als strafmildernd lässt Lutz gelten, dass Demjanjuk selbst Opfer der Deutschen war und gegen seinen Willen zum Wachdienst verpflichtet wurde. Er sei Gehilfe ohne eigenen Verantwortungsbereich gewesen. Allerdings habe kein Befehlsnotstand bestanden, weil eine Flucht seiner Meinung nach möglich gewesen wäre.
 
Am 13. und 14. April 2011 hielten die Nebenkläger ihre Plädoyers. Sie berichteten vom Schicksal ihrer Familien und deren Ende in Sobibór. Der gemeinsame Anwalt der Nebenkläger, Cornelius Nestler, verzichtete in seinem Schlussvortrag, in dem er den Fall aus Sicht der Nebenklage historisch und rechtlich analysierte, auf das Stellen eines Strafantrages, da jeder der Nebenkläger die jeweils eigene Erwartung an das Strafmaß vorgetragen habe.
 
Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch plädierte Anfang Mai 2011 auf Freispruch und Haftentschädigung für Demjanjuk. Busch kritisierte, dass Zeugen und Akten zugunsten Demjanjuks nicht berücksichtigt worden seien. Der Angeklagte sei nie im NS-Vernichtungslager Sobibór gewesen und dafür gäbe es auch keine Beweise. Und wenn Demjanjuk doch als Hilfswachmann dort gewesen sein sollte, dann habe er als Kriegsgefangener keine andere Wahl gehabt. Demjanjuk sei schon einmal zum Justizopfer geworden, als er in Israel wegen einer Verwechslung achteinhalb Jahre unschuldig in Haft gesessen habe, davon fünf Jahre in der Todeszelle, und habe daher bereits genug gebüßt.
 
 
Am 12. Mai 2011 wurde Demjanjuk wegen Beihilfe zum Massenmord an geschätzten 28.060 Menschen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich als Kriegsgefangener zu einem von etwa 5000 fremdvölkischen Hilfswilligen der SS habe ausbilden lassen und dann von Ende März bis Mitte September 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibór gedient habe. Auch wenn ihm keine konkrete Tat individuell zugeschrieben werden konnte, sei Demjanjuk dort „Teil der Vernichtungsmaschinerie“ gewesen. Die Anzahl der Opfer berechnet sich auf Basis der Transportlisten der Deportationszüge in der Zeit, in der Demjanjuk in Sobibór gedient haben soll. Demjanjuk hätte sich nicht an diesen offensichtlichen Verbrechen beteiligen dürfen, sondern hätte sich bemühen müssen, zu fliehen. Das damit verbundene Risiko hätte er in Kauf nehmen müssen. Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist und unter Berücksichtigung des hohen Alters des Angeklagten wurde der Haftbefehl aufgehoben und Demjanjuk vorläufig aus der Haft entlassen. Richter Ralph Alt begründete die Haftentlassung damit, dass nach zwei Jahren Untersuchungshaft eine weitere Zeit im Gefängnis für den 91-Jährigen nicht verhältnismäßig sei und nach dem Urteil des Landgerichts keine Fluchtgefahr bestehe. Der Verurteilte sei staatenlos und könne Deutschland nicht verlassen. John Demjanjuk wurde nach seiner Haftentlassung in einem Pflegeheim in Bad Feilnbach untergebracht. In dem Prozess hatte sich Demjanjuk nicht zu den Vorwürfen geäußert, sondern sich nur in drei schriftlichen Erklärungen als Opfer der Deutschen bezeichnet. Der Urteilsverkündung wohnten etwa ein Dutzend der mehr als 30 Nebenkläger aus den Niederlanden bei, die in Sobibór teilweise ihre gesamte Familie verloren haben.
 
Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch kündigte an, Revision einzulegen.
 
Interessant ist m.E. die Urteilsbegründung, denn zum ersten wurde ein Täter verurteilt, dem ein direkter Tatnachweis nicht nachgewiesen werden konnte, außer die größtmögliche Annahme, dass er an einem Massenmord beteiligt war. Ein Novum in der deutschen Rechtsprechung, die einige alte Männer zum Nachdenken zwingt. Auch wenn man bemängeln könnte, dass ein solches Denken hätte früher stattfinden sollen, so ist die neue ‚Richtergeneration‘ doch von anderem Denken.

Für die Nebenkläger war es größtenteils nur wichtig, dass der Angeklagte überhaupt verurteil wurde, die Höhe des Strafmaßes war für die meisten nicht entscheidend.

  • Foto  1: Bahn-Schild  –  Quelle: Wikipedia
  • Foto  2: Bahnschienen 1948 v. einem amerik. Offizier (unbekannt)
  • Foto  3: Mahnmal Sobibor  – Quelle: Małgorzata Mariańska
  • Foto  4: Karte von Sobibor – Quelle:  jewishvirtuallibrary.org
  • Foto  5: Thomas Blatt 1945 –  Quelle: Homepage v. T. Blatt
  • Foto  6: Gedenktafel Sobibor – Quelle: Wikipedia
  • Foto  7: Allee des Gedenkens Quelle: rueckblende-volkmarsen.de
  • Foto  8: Trawniki i. Warschauer Ghetto – Quelle: Wikipedia
  • Foto  9: Trawniki nach der Ausbildung – Quelle: .trawniki.hg.pl
  • Foto 10: Demjanjuk – SS-Ausweisfoto 1943 – Quelle: Wikipedia
  • Foto 11: Philipp Bialowski 1943 – Quelle: IFZ München
  • Foto 12: SS-Ausweis v. J. Demjanjuk – Quelle: holocaustresearchproject.org
  • Karte Sobibor  – Quelle: Gedenkstätte Sobibor

 

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