Selma Stern

Selma Stern

Selma Stern • Vom Forschen + Erleben des Antisemitismus

„Was man verstehen kann, kann man ertragen.“ Selma Stern

Als Tochter des Physikers Dr. Julius Stern und seiner Frau Emilie wurde Selma Stern am 24. Juli 1890 Kippenheim geboren und wuchs in Baden-Baden auf. Die Eltern erkannten früh ihre intellektuellen Fähigkeiten und förderten sie sehr, so dass sie als erstes Mädchen das Großherzogliche Badische Gymnasium in Baden-Baden besuchte, dass sie 1909 mit einem ausgezeichneten Abitur verließ. Leider erlebte das ihr Vater nicht mehr, denn dieser starb bereits ein Jahr früher, was aber für Selma ein tief einschneidendes Erlebnis war. Sie begann ein Studium der Geschichte in Heidelberg, das sie nach drei Semestern in München, an der Ludwig-Maximilians-Universität mit der Promotion 1913 beendete. Selma Stern war eine der ersten deutschen Historikerinnen, dazu noch eine der Jüngsten. Ihre Schwerpunkte lagen in der Literatur, Philosophie und Wissenschaft was zwar eine interessante Mischung war und ist, doch nicht gleich zu einer Anstellung im wissenschaftlichen Betrieb führte, zumal der Erste Weltkrieg ausbrach und die Zeiten äußerst turbulent waren. Die Jahre des Krieges verbrachte sie bei ihrer Mutter und Schwester in Frankfurt am Main, wobei sie sich aus wissenschaftlichem Interesse mit der jüdischen Religion befasste, hier waren zwei Rabbiner ihr besonders hilfreich. Zwar war sie selbst Jüdin, doch der immer stärker aufkeimende Antisemitismus weckte ihr Interesse und wurde so zur Triebfeder weiterer Forschung. Ein weiteres Themenfeld fand sie im Antifeminismus. Mit diesen Schwerpunktthemen war es recht schwierig für sie eine Anstellung zu finden, doch 1920 fand sie eine Position an der Berliner Akademie für die Wissenschaft des Judentums. Dort legte sie den Grundstein der deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung, der noch heute seine Gültigkeit hat.


Hier lernt sie auch den Leiter der Akademie, ihren späteren Ehemann, Eugen Täubler kennen. Täubler promovierte 1904 in Berlin bei Otto Hirschfeld, war in der zionistischen Bewegung engagiert und seine Interessen allgemein und wissenschaftlich galten den jüdischen Interessen, deshalb verzichtete er nach der Promotion zunächst auf eine Universitätskarriere und wurde Leiter des Gesamtarchivs der deutschen Juden in Berlin. Anschließend lehrte er von 1922 bis 1925 an der Universität Zürich sowie in den Jahren 1925 bis 1933 Alte Geschichte an der Universität Heidelberg. Selma Stern und Eugen Täubler heirateten 1927, beide waren sich einig, eine eher kameradschaftliche, auf Respekt aufgebaute Ehe zu führen, denn auf Leidenschaft. Das Zentrum der Arbeiten der Historikerin Selma Stern bildeten Probleme der deutsch-jüdischen Geschichte, der Emanzipation und Akkulturation,  dem Assimilationsprozess, der deutschen Juden. Ihr siebenbändiges Lebenswerk stand unter dem Titel ‚Der preußische Staat und die Juden’. Selma Stern widmete sich auch den Lebenswelten jüdischer Frauen sowie den Biografien einzelner Persönlichkeiten wie Jud Suess und Josel von Rosheim. Ihre Forschungen zum Preußischen Staat und den Juden, zu den Hofjuden der Frühen Neuzeit sowie mehrere biographische Studien zählen bis heute zu den inspirierendsten Arbeiten in diesem Bereich. Doch die Zeit für Juden in Deutschland wurde immer schlechter. Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Regierung kamen, wurde Eugen Täubler als jüdischer Wissenschaftler zunächst beurlaubt, doch Täubler legte außerdem aus Protest gegen die Behandlung jüdischer Wissenschaftler Amt und Mitgliedschaft an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften nieder. Er wurde am 9. November 1933 mit sofortiger Wirkung von der Universität Heidelberg beurlaubt und am 18. Dezember 1933 in den Ruhestand versetzt. Der Engere Rat der Universität Heidelberg versuchte mit Hinweis auf den Kriegsdienst Täublers im Ersten Weltkrieg einen ehrenvollen Abgang zu ermöglichen. Eugen Täubler lehnte dies aus prinzipiellen Gründen ab. Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Universität Heidelberg wurde der Nationalsozialist Fritz Schachermeyr.  Ein Jahr später, verlor auch Selma Stern ihren Arbeitsplatz, die Akademie für die Wissenschaft des Judentums wurde von den Nationalsozialisten aufgelöst. Wie viele deutsche Juden, so glaubte auch das Ehepaar Stern-Täubler, dass der ‚Spuk’ der braunen Herrschaft schnell sein Ende finden wird. Durch ihre tiefe Verwurzelung in die deutsche Gesellschaft, war es ihnen kaum möglich das kommende vorherzusehen. Länger als viele andere hielten sie es in Deutschland aus, erst 1941 gingen sie gemeinsam in die USA. Sich zu retten war das eine, ihr bisheriges Leben und Wirken aufzugeben war für die Menschen etwas ganz anderes, denn sie überlebten zwar, doch ihr angestammtes Leben verloren sie. In den USA lebten sie zuerst in New York, dann in Cincinnati. Dort wurde Eugen Täubler Professor am Hebrew Union College in Cincinnati. Der Bruch, den das nationalsozialistische Regime in ihrem Leben herbeiführte, lässt sich auch in Selma Sterns Geschichtsentwürfen nachzeichnen.


In Aufsätzen zu Moses Mendelssohn und dem Problem der Emanzipation und der Assimilation lotete Stern nach 1933 die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen deutsch-jüdischer Existenz aus. Sie entdeckte das jüdische Volk als Leidensgemeinschaft, dessen Geschichte durch immer wiederkehrende Vertreibungen und Verfolgungen gekennzeichnet war. Einen endgültigen Wendepunkt im Geschichtsbild Selma Sterns wird in dem 1946 publizierten Buch ‚The Spirit Returneth’ deutlich. Eugen Täubler kehrte nicht nach Deutschland zurück und stellte kurz vor seinem Tod 1953 einen Wiedergutmachungsantrag gegenüber der Universität Heidelberg, die Antwort darauf erlebte er nicht mehr. Die Universität Heidelberg ehrte ihn anlässlich des 600-Jahr-Jubiläums mit der Herausgabe ‚Ausgewählter Schriften’. Selma Stern wurde 1951 Gründungsmitglied des Leo Baeck Institutes in New York, für das sie, neben ihren Publikationen neun Jahre lang intensiv arbeitete. Im Jahr 1960 übersiedelte sie zu ihrer Schwester in die Schweiz, dort lebte und arbeitete sie in Basel bis zu ihrem Tod am 17. August 1981. Selma Sterns Forschung konnte aufgrund der politischen Verhältnisse nicht linear verlaufen, denn erst nach den antisemitischen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg rückten Fragen ihrer jüdischen Herkunft in ihrem Selbstverständnis sowie deutsch-jüdische Themen in ihrer Forschung in den Mittelpunkt des Interesses. Die in der Weimarer Republik aufscheinende Möglichkeit, weibliche mit jüdischer Emanzipation verbinden zu können, erklärte Selma Stern nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Holocaust für sich persönlich als gescheitert. Wenn ihre Geschichtsentwürfe danach auch nicht mehr der früheren Fortschrittsidee jüdischer Emanzipation in der deutschen Gesellschaft folgten, so schien ihr am Ende ihres Lebens jedoch eine deutsch-jüdische Existenz trotz der grausamen Erfahrungen immerhin nicht unmöglich. Diese Vision Selma Sterns sollte durch uns heute bestätigt werden.

Bild 1: Selma Stern – Quelle: uni-heidelberg.de · Bild 2: Buchtitel S. Stern – Quelle: alemannia-judaica.de · Selma Stern in den USA – Quelle: jewiki.net 

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