Hertha Nathorff

Hertha Nathorff

Hertha Nathorff • Ins Exil gerettet – Doch alles verloren …

„In der Emigration gab es keinen windstillen Winkel; das Exil erlaubte keine weltabgewandte Haltung, es stellte den Vertriebenen immer wieder vor praktische Aufgaben, es führte ihn immer wieder dazu, den Anschluss an Schicksalsgefährten zu suchen.“ Franz Carl Weiskopf

Hertha Nathorff  wurde am 5. Juni 1895 in Laupheim als Hertha Einstein geboren. Laupheim, südlich von Ulm gelegen, ein idyllischer Landflecken, in dem sich seit 1730 auf Geheiß des hoch verschuldeten Baron Carl Damian von Welden, Juden ansiedeln durfte, so erhoffte dieser sich durch Judensteuer und Schutzgeld finanziell zu erholen. Es entwickelte sich eine stattliche jüdische Gemeinde in und um Laupheim, von der das hiesige Museum für Geschichte im Schloss Groß-Laupheim ausführlich berichtet. In diesem Museum werden die bekanntesten ehemaligen jüdischen Bürger der Gemeinde geehrt, wie Carl Laemmle, der als 17jähriger in die USA ging und Als Chef der Universal Filmstudios als Mitbegründer der Filmindustrie Hollywoods gilt. Auch der Jugendstilkünstler Friedrich Adler wird gewürdigt, der 1942 in Auschwitz ermordet wurde. Neben den gewürdigten Frauen ist auch Hertha Nathorff. Sie entstammte einer alteingesessenen jüdischen Familie, weitläufige verwandte waren der Nobelpreisträger Albert Einstein und der Musikforscher Alfred Einstein. Der erwähnte Carl Laemmle war ein Schulfreund ihres Vaters und ein Nennonkel der kleinen Hertha. Die Eltern waren Arthur und Mathilde Einstein, beide tief verwurzelt in ihrer Umgebung und der lebhaften jüdischen Gemeinde. Das Elternhaus war wohl situiert, Der Zigarrenfabrikant Arthur Einstein hatte ein Tabakwarengeschäft in bester Lage der Stadt, am Marktplatz 4.


Im Herbst 1904 meldete der Vater seine neunjährige Tochter Hertha, die in der Zwischenzeit noch zwei Schwestern bekam, in der Lateinschule der Stadt an. Eine Sensation, denn noch nie hatte ein Mädchen die höhere Schule besucht. Zwar war die Mutter eher für eine Pensionatsausbildung für die Mädchen, der Zeit entsprechend, doch der Vater setzte sich durch. 1914, am Vorabend des Beginns des ersten Weltkriegs machte Hertha Einstein ihr Abitur. Sie begann ohne Unterbrechung ihr Medizinstudium, zuerst in Heidelberg, dann in München und Freiburg. 1920 promovierte sie in Heidelberg und ging dann nach Berlin um sich als Internistin weiter ausbilden zulassen. Doch sollte sie einen anderen Weg einschlagen. Dazu schreibt Hertha Einstein in ihr Tagebuch, dass sie von Jugend an bis ins Greisinnenalter führt:

„In Deutschlands bitterster Notzeit wurde ich zur leitenden Ärztin eines Entbindungs- und Säuglingsheims von Roten Kreuz gewählt. Freilich wollen Sie mir fast ein wenig jung sein, sagte mir die Dezernentin des Heims, die bekannte Sozialistin Adele Schreiber. Dieser Fehler wird ja mit jedem Tag besser, gab ich ihr zur Antwort und begann meine Tätigkeit voller Begeisterung am 1. April 1923. Ein Heim, zwei hübsche Villen in einem ausgedehnten alten Park mit 30 Frauen- und Säuglingsbetten, Oberschwester, Hebamme, 8 Schwestern und einigen Helferinnen unterstanden mir nun, und ich war mir meiner Verantwortung bewusst.“


In dieser Klinik lernt sie ihren späteren Ehemann, den Oberarzt Dr. Erich Nathorff, kennen, den sie im gleichen Jahr heiratet und zwei Jahre später ihren Sohn Heinz gebar. 1928 beendete sie ihre Tätigkeit im Roten Kreuzkrankenhaus, denn ihre Privatpraxis am Kurfürstendamm war nun recht erfolgreich. Das vom Vater verfolgte Ziel der Bildung, das soziale Engagement füllte sie mit Emanzipation, Elemente, die ihr zeitlebens wichtig waren und blieben. Es folgte eine ehrenamtliche Position im Krankenhaus Charlottenburg, dazu Hertha Nathorff:

„In dieser Zeit bewarb ich mich um die neu zu errichtende Stelle für Frauen- und Eheberatung, die im Ärzteblatt ausgeschrieben war.“

Bis 1933 leitete sie diese Stelle. Hertha Nathorffs Karriere als Ärztin war bemerkenswert,  sie war die erste Frau, die in den Gesamtausschuss der Berliner Ärzte gewählt wurde. In vielen Ausschüssen und Vereinen war sie tätig, erfolgreich. All diese Ämter verlor sie nach dem die Nationalsozialisten im Januar 1933 an die Macht kamen. In Folge der Rassegesetze erfolgte der Entzug der Zulassung zu den Krankenkassen, später durfte sie auch keine Privatpatienten mehr behandeln. Dazu notiert sie in ihrem Tagebuch:

„Die letzte Kassensprechstunde. Ich habe tapfer durchgehalten. Meine Wohnung gleicht einem blühenden Garten. Abschiedsblumen. Wie das ist sein eigenes Begräbnis zu erleben! Nun sitze ich am gewohnten Platz, schließe mein Kassenbuch ab. Morgen werde ich die Stempel ins Ärztehaus tragen.“

Bis zum Herbst 1938 litten sie unter den Repressalien durch das NS-Regime. Hertha versuchte ihren Mann zur Emigration zu bewegen, so wie ihre Schwestern mit deren Männern es bereits taten, doch Erich Nathorff fühlte sich viel zu tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelt und lehnte dies zunächst ab. Dann wurde allen jüdischen Ärzten die Approbation entzogen, Erich Nathorff musste seine Stelle als leitender Klinikarzt im Krankenhaus Moabit aufgeben, doch ihm wurde noch gestattet als ‚Krankenbehandler’ für jüdische Patienten im Krankenhaus tätig zu sein. Hertha selbst litt unter ihrer Untätigkeit, seelisch und körperlich. Während des Novemberpogroms wurde er verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert. Über diese Nacht schreibt sie:


„1/2 10 abends. Es klingelt zweimal kurz und scharf hintereinander. Ich gehe an die Tür: „Wer ist da?“ – „Aufmachen! Kriminalpolizei!“ Ich öffne zitternd, und ich weiß, was sie wollen. „Wo ist der Herr Doktor?“ – „Nicht zu Hause“, sage ich – „Was? Die Portierfrau hat ihn doch nach Hause kommen sehen.“ – „Er war zu Hause, aber ist wieder weggerufen worden.“ (…) Doch in diesem Augenblick höre ich, wie die Türe zu unserer Wohnung aufgeschlossen wird. Mein Mann kommt – er kommt, der Unglückselige, in dem Augenblick, da ich ihn gerettet wähne. Und wie er geht und steht, führen sie ihn ab. „Danken Sie Ihrem Herrgott, dass Ihrer Frau nicht die Kugel im Hirn sitzt.“  Ich renne ihnen nach auf die Straße. „Wohin mit meinem Mann, was ist mit meinem Mann?“ Brutal stoßen sie mich zurück. (…) Und ich sehe, wie sie in ein Auto steigen und davonfahren mit meinem Mann in die dunkle Nacht.

Beim Versuch ihren Mann frei zubekommen wird Hertha im den größten Teil ihrer Geldmittel betrogen, doch mit Hilfe amerikanischer Verwandter schafft sie es den 14jährigen Sohn mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit zu bringen. Nach langen ungewissen Wochen wurde Erich Nathorff aus dem Konzentrationslager entlassen. Carl Laemmle, ihr Nennonkel, riet den Nathorffs zur Auswanderung aus Deutschland und bürgte für sie, das Ehepaar reiste 1939, nachdem Hertha sich von den Eltern in Laupheim verabschiedete, deren Betrieb und Geschäft bereits ‚arisiert’ wurde, zuerst nach London, von dort aus, mit ihrem Sohn Heinz reisten sie weiter nach New York. Inzwischen war die Familie völlig mittellos, da sie von den Nationalsozialisten um ihr Vermögen gebracht wurden.

Carl Laemmle war 1939 verstorben, daher konnte die Familie von dieser Seite auch keine Hilfe mehr erwarten. 1940 schrieb Hertha Nathorff:

“Dieses Wartenmüssen, es hat uns um alles gebracht, alles, was wir an irdischen Gütern noch besessen hatten. Unsere Schiffskarten sind verfallen, unser Lift (Umzugsgut) in Holland ist verloren, weil wir jetzt den Transport in Devisen ein zweites Mal zu bezahlen hätten, da die Nazi-Räuber auch dieses Geld nicht transferiert haben. Auf fremde Hilfe und Güte sind wir angewiesen.“

In New York lassen sich die Nathorffs nieder, Erich muss noch Zusatzausbildungen absolvieren um als Arzt zu arbeiten, so ernährt Hertha die Familie mit Jobs als Krankenpflegerin, Dienstmädchen, Küchenhilfe und auch als Barpianistin. Die Sicherheit vor Verfolgung kann Herthas Seele nur schwer annehmen, der beschwerliche Alltag, die Armut und das Herausgerissensein aus einer ganzen Gesellschaftsschicht, lässt Hertha Nathorff viel zu sehr an sich heran. Das Gefühl der Heimatlosigkeit wird sie bis ins Greisinnenalter beibehalten. In den ersten Jahren war sie oft dem Suizid nahe. Durch Kurse am Alfred Adler Institut für Individualpsychologie lässt sie sich zur Psychotherapeutin ausbilden, seit Mitte der 50iger Jahre, nach dem ihr Mann plötzlich verstarb und sie die Arztpraxis nicht weiterführen konnte, arbeitet sie darin äußerst erfolgreich.


Wieder arbeitet sie ehrenamtlich im Bereich der Frauenberatung, für diese Tätigkeit wurde sie vielfach ausgezeichnet. 1966 veröffentlichte sie einen Gedichtsband ‚Stimmen der Stille’ und 1967 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz.

Ihre Sehnsucht in die Heimat zurück zukehren, wobei sie damit nicht Deutschland meinte, sondern Laupheim, das Laupheim ihrer glücklichen Kindheit und Jugend, ging nie in Erfüllung. Ihr Tagebuch, hat einen ganz besonderen Stellenwert, denn es zeigt kaum chronologischen Geschichtsdaten auf, sondern Hertha Nathorff zeichnet präzise ihre Befindlichkeiten auf. Dies Buch ist Emotionalität pur über eine Zeit der Entmenschlichung.   Nach dem letzten schweren Schicksalsschlag, 1988 verstarb ihr Sohn, lebte sie sehr zurückgezogen in der Nähe des Central Parks und verstarb am 10. Juni 1993.

Bild 1: Hertha Nathorff, Portrai der Ärztekammer Berlin – Quelle: aerztekammer-berlin.de · Bild 2: Schloss Laupheim-Museum für Christen und Juden – Quelle: schule-bw.de · Bild 3: Hertha + Erich Nathorff 1943 – Quelle: ggg-laupheim.de · Bild 4: Brennende Synagoge – Quelle: ev-ki-stu.de · Bild 5: Buchtitel Hertha Nathorff – Quelle: amazon.com · Bild 6: Hertha Nathorff 90. Geburtstag – Quelle: buellelmann.eu

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